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Selbstversuch Wer Spargel essen will, muss auch ernten

Redakteur Donald Lyko hat einen Vormittag lang mit rumänischen Saisonarbeitern auf einem Spargelfeld bei Grieben gearbeitet.

Von Donald Lyko 31.05.2017, 01:01

Grieben l Spargel stechen – endlich mal wieder! Ja, ich freue mich wirklich. Mein letztes Mal war irgendwann vor mehr als 20 Jahren. Was bin ich als Jugendlicher nach der Schule mit Begeisterung zum familiären Spargelacker geradelt. In Möringen. Dort saugt man, wenn ich es mal etwas pathetisch ausdrücken darf, die Liebe zum Spargel mit der Muttermilch auf. Denn der Saatgut-Betrieb dort gehörte schon zu DDR-Zeiten zu den international renommierten Spargelpflanzen-Produzenten. Noch heute ist Möringer Spargel gefragt. Pflanzen von dort bezieht auch Familie Plötze, die den Griebener Hof betreibt.

Dorthin bin ich an diesem Mittwochmorgen unterwegs. Kurz vor sechs stehe ich auf dem Hof an der Breiten Straße. Und stehe mitten im Alltag eines Familienunternehmens. Martin Plötze bestückt den Transporter für den Laden an der Stendaler Poststraße, Sohn Christoph packt alles ein, was er auf dem Wolmirstedter Wochenmarkt benötigt. Und Mutter Gabriele bereitet den Hofladen für die ersten Kunden vor.

Und wo sind die Rumänen, mit denen ich heute eine Vormittagsschicht arbeiten möchte? „Die sind mit den Fahrrädern schon los zum Feld“, beantwortet Martin Plötze im Vorbeigehen meine Frage. Die Chefin übernimmt es, mich und meine Kollegin Tanja Andrys zum Feld zwischen Grieben und Tangerhütte zu bringen. Kurzer Zwischenstopp an dem Acker, auf dem für die kommende Saison neuer Spargel gepflanzt wurde. Daneben wurde in diesem, dem ersten Jahr neuer Spargel nur wenigen Wochen gestochen. Die Beete sind schon runter. Kleiner Trost für die Stecher – aber es bleiben noch immer zirka sechs Hektar.

Auf denen helfe ich den Saisonarbeitern aus Rumänien. 16 sind es, die Ostermontag und kurz danach angereist sind. Einige mit dem Flugzeug, andere im Kleintransporter. Elf von ihnen sind heute beim Spargelstechen dabei, die anderen sortieren, waschen und verpacken den Spargel auf dem Hof. Dort werden die Stangen auf Maß gebracht. Denn: In Deutschland darf eine Stange weißer Spargel im Handel nicht länger als 22 Zentimeter sein, erklärt mir Gabriele Plötze.

Am Feld angekommen, sind die anderen natürlich gerade am gegenüberliegenden Ende der Reihen angelangt, haben die erste Runde geschafft. Auf dem Weg zu ihnen sehe ich die ersten weißen Spargelspitzen, sehe manchmal nur aufgebrochene Erde – und der Jagdin­stinkt ist geweckt. Ich kann es kaum noch erwarten, mal wieder die gespreizten Zeige- und Mittelfinger in den Boden zu bohren, um den Spargel freizulegen. Wie gesagt, ein Möringer hat das im Blut.

Nach einem Handschlag für Eiorogar und einem lauten Hallo für meine „Kollegen“, die schon wieder an den Reihen stehen, geht es los. Die erste Reihe teile ich mir mit Eionogar und trete den Beweis an: Spargelstechen ist wie Fahrradfahren – beides verlernt man nicht. Mittlerweile ist es kurz vor sieben, bei elf Grad Celsius lässt es sich gut arbeiten. Und so geht es richtig los, die zweite Reihe bekomme ich für mich allein. Reihen, die sich von mal zu mal wie von Zauberhand verlängern: Da hat man gut was geschafft, doch beim Blick zurück ist das geschaffte Stück noch immer deutlich kürzer als das vor einem liegende. Wachsen hier die Reihen mit?

Die Rumänen, seit Wochen dabei und im Rhythmus, ziehen uneinholbar davon. Doch jeder hilft dem anderen. Wer fertig ist mit seiner Reihe, kommt einem anderen auf dessen entgegen. Das motiviert mich am Ende meiner Bahn.

Nach drei Stunden ist Frühstückspause. Eionogar Eugen-Codrins Frau Cristina bringt Kaffee, Brötchen und Gurkensticks zur Erfrischung. Zeit, mit dem „Brigadier“, der etwas Deutsch spricht, ins Gespräch zu kommen. Er erzählt, dass alle in zwei Nachbardörfern in Siebenbürgen zuhause sind und sich kennen, dass einige von ihnen schon seit Jahren nach Grieben kommen. Sie lassen ihre Arbeit in einer Fabrik dafür ruhen oder arbeiten auch in Rumänien in der Landwirtschaft.

Es sind immer mal wieder neue Arbeiter dabei, wenn die Stammbesatzung nicht kann. Denn wenn an Straßen oder an der Bahntrasse gebaut wird, dann werden Einwohner aus den umliegenden Orten beschäftigt – in dem Jahr müssen sie dann eben aussetzen. Die Brüder Adrian und Eionogar, für Familie Plötze sind sie mehr als nur Saisonarbeiter. „Wir haben sie auch schon besucht, haben uns ihre Heimat angeschaut“, erzählt Gabriele Plötze später beim gemeinsamen Essen.

Doch bevor es das gibt, geht es nach dem Feldfrühstück noch einmal für zwei Stunden zurück an die Spargelernte. Langsam macht sich mein Rücken bemerkbar, die ungewohnte Belastung setzt dem linken Arm ganz schön zu. Und dann immer in gebückter Haltung. Da hilft nur Galgenhumor: Das schnöde Bücken ist doch wohl eher eine Verbeugung vor dem König des Gemüses.

Die Pausen, um sich zu strecken, werden immer mehr, obendrein kommt die Sonne durch. Also Jacke auf. Dann ziehen Wolken auf, es wird windig auf dem freien Feld. Jacke wieder zu. Worauf habe ich mich bloß eingelassen? Die romantische Verklärung jugendlicher Spargelstech-Begeisterung ist irgendwie ganz schön weit weg vom Arbeitsalltag eines spargelproduzierenden Landwirtschaftsbetriebes.

Ein schneller Blick zum Rand des Ackers. Nur noch drei Reihen, geteilt durch uns zwölf Stecher. Das geht schnell. Dann ist es endlich geschafft. Denkste! Es bleiben nur zwei der Rumänen und lotsen mich per Armzeig zur letzten Reihe. Die anderen gehen zu dem Stück, das wir zwischendurch ausgelassen hatten. Komm, motiviere ich mich selbst, die eine Reihe schaffst du auch noch.

Habe ich, zusammen mit meiner Kollegin Tanja. Und die hatte es in sich. Nicht die Tanja, sondern die letzte Reihe. Das hat noch mal ordentlich geschafft. Wie der ganze Vormittag. 60 Kisten voller „weißem Gold“ hatten sie am Vortag insgesamt geerntet, allein an diesem Vormittag sind es schon 50 – und am Nachmittag steht ja noch eine Runde an. Aber nicht für mich.

Auf dem Hof in Grieben lassen wir uns zusammen mit den rumänischen Kollegen Brathuhn aus dem großen Steinbackofen – den hatte Martin Plötze schon um 5 Uhr angeheizt –, Kartoffelbrei und Tomatensalat schmecken. Und Fruchtjoghurt passt auch noch rein. Arbeit macht eben hungrig. Gekocht wird jeden Mittag für 20 Personen. Mit Spargel kann Gabriele Plötze die Rumänen nicht locken. In deren Heimat ist er wenig bekannt, vielen schmeckt er nicht einmal. Und bei den Spargelbauern selbst? „Fast jeden Tag, am liebsten mit brauner Butter“, sagt die Chefin.

Die Saisonarbeiter radeln zur Unterkunft und ruhen sich aus, in zwei Stunden geht es zur Nachmittagsernte. Ich quäle mich ins Auto. Anders kann man es nicht sagen, denn irgendwie schmerzt alles im Körper nach fünf Stunden Spargelstechen und sechs gefühlt endlosen Reihen, und k.o. bin ich natürlich auch. Nur ein Vorgeschmack auf die kommenden zwei Tage: Muskelkater und Rückenschmerzen vom Feinsten, jede Bewegung eine Erinnerung an einen Tag als Erntehelfer.

Der Schmerz ist mittlerweile weg, die Erkenntnis bleibt: Es ist schwere Arbeit, die Tag für Tag auf dem Spargelfeld geleistet wird. Arbeit, die eben auch ihren Preis hat. Arbeit, die noch bis zum Johannistag am 24. Juni, dem traditionellen Abschluss der Spargelernte, dauert. Bis dahin bleibe ich dem Edelgemüse auf jeden Fall treu – aber nur, wenn er schon gestochen ist.