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Serie Ein Händchen für Gold und Uhren

Detlef Roever wurde mit dem ersten Platz beim Stendaler Kulturpreis ausgezeichnet. Die Volksstimme traf sich mit ihm auf eine Tasse Kaffee.

Von Anne Toss 04.12.2015, 00:01

Stendal l Die Einladung zur Verleihung des Kulturpreises flatterte mit der Post in das Geschäfts- und Wohnhaus von Detlef Roever. „Ich habe mich auf einen netten Abend mit Musik gefreut“, sagt Roever, Goldschmiedemeister aus Stendal. Seine Tochter habe noch gemutmaßt, dass er sicherlich ausgezeichnet werde. Aber Roever glaubte nicht daran. „Für was denn?“, habe er sie noch gefragt. Doch als in der Laudatio von Oberbürgermeister Klaus Schmotz die Wörter „Leiter“ und „Zahnräder“ fielen, sei es klar gewesen, dass seine Tochter von Anfang an die richtige Vorahnung gehabt hatte. So stand Detlef Roever plötzlich im Rampenlicht, „obwohl meine Frau und ich uns extra ganz nach hinten gesetzt hatten“.

Den ersten Preis beim Stendaler Kulturpreis erhielt der Goldschmiedemeister für sein Engagement für die astronomische Uhr in der Marienkirche. „Ich habe das nicht erwartet“, sagt Roever zu dieser Auszeichnung. „Für uns, also meine Frau Hella und mich, ist das so selbstverständlich. Die Uhr ist da und sie geht.“

Doch hinter der Verantwortung für die astronomische Uhr steckt mehr Arbeit, als Roever zunächst verraten möchte: Einmal in der Woche zieht er die Uhr auf, er pflegt und wartet sie und erledigt – falls nötig – kleinere und größere Reparaturen. Außerdem steht er für Führungen zur Verfügung. „Habe ich eine Führung, die 30 Minuten dauern soll, investiere ich deutlich mehr Zeit“, erklärt Roever. Denn davor und danach sieht er nach dem Rechten, überprüft, ob auch alles in Ordnung ist. „Zu Hause saugen Sie ja auch den Teppich, wenn jemand zu Besuch kommt“, sagt er und lacht.

Einziger Unterschied bei dem Vergleich: Roevers Zuhause liegt gegenüber der Marienkirche, in der Marienkirchstraße 9. Trotzdem fühlt er sich der Uhr, der Marienkirche, ja, der Stadt Stendal verbunden. „Ich würde mich als Ur-Stendaler bezeichnen“, sagt der 54-Jährige. „In die Aufgabe mit der Uhr bin ich durch meinen Vater, Oskar Roever, reingewachsen.“ Der hatte in den 70er Jahren in mühsamer Handarbeit die alte Uhr – vermutlich aus dem Jahr 1552 stammend – zerlegt, gereinigt und vervollständigt. 1977 konnte er die astronomische Uhr dann funktionstüchtig an die Kirchengemeinde übergeben. Seither haben Vater und Sohn die Uhr gemeinsam gepflegt, bis zu Oskar Roevers Tod im Jahr 2008.

Für all diese Tätigkeiten haben sein Vater und er selbst nie eine Gegenleistung erwartet. Die ehrenamtliche Arbeit findet sozusagen nebenher statt, denn Detlef Roever führt hauptberuflich eine der ältesten Goldschmieden Deutschlands weiter – in fünfter Generation. „Nächstes Jahr wird die Goldschmiede Roever in Stendal in 175-jähriger Familientradition sein“, sagt Detlef Roever mit Stolz.

Daher sieht er das Preisgeld, das mit dem ersten Platz verbunden ist, als eine Art Kompensation für seine Ausgaben in den letzten Jahren. „Eventuell werde ich davon wieder einige Postkarten in Druck geben“.

Und da es sich in Stendal herumgesprochen hat, dass Roever sich um die Uhr in der Marienkirche kümmert, bringen Kunden auch öfter eine Uhr zur Reparatur vorbei. „Die denken ja, ich kann alles“, erzählt der Goldschmied und lacht. Denn nicht nur Uhren, sondern auch Musikinstrumente oder Haushaltsgegenstände werden vorbeigebracht. „Es sind zwar Sachen, die einen aufhalten, aber die machen eben auch Spaß, denn dann ist man wieder Goldschmied“.

Eine Entwicklung im Handwerk erfüllt ihn allerdings mit Sorge: „Alte Handwerkstechniken verschwinden, das Wissen wird nicht mehr weitergegeben“, berichtet Roever. Er habe davon profitiert, dass in seiner Familie Techniken jeweils vom Vater an den Sohn übertragen wurden.

Deshalb zitiert Roever auch gerne Goethes Worte aus Faust: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Eine Generation allein hätte das Haus und Geschäft nicht aufbauen können, so Roever. „Ich habe das Wissen geerbt und muss es bloß anwenden.“

Ob die Goldschmiede Roever auch zukünftig in Familienbesitz bleibt, ist indes noch offen. „Die nächste Generation hat definitiv das Händchen dafür“, sagt Detlef Roever, „aber man will sie ja auch nicht drängen.“ Deshalb hält er es in diesem Fall mit einem anderen Sprichwort, nämlich „Abwarten und Tee trinken“.