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Sommerserie Ein Tag als Obstverkäufer

Die Reporter der Volksstimme übernehmen in diesem Jahr fremde Jobs. Antonius Wollmann hilft am Obst- und Gemüsestand aus.

Von Antonius Wollmann 04.08.2020, 01:01

Stendal l Um eines vorweg zu nehmen: Als ich mir vor einigen Jahren Gedanken über meine berufliche Zukunft machen musste, spielten zwei Kriterien eine nicht unwesentliche Rolle. Mit zwei linken Händen und einer selten gesehenen Ungeschicklichkeit gesegnet, fielen praktische Tätigkeiten im Prinzip aus. Allzu früh wollte ich auch nicht in den Tag starten. Kein Wunder, dass ich mich an der Uni so gut aufgehoben fühlte und das böse Wort Regelstudienzeit lange Zeit aus meinem Wortschatz strich. Aber aus jedem Paradies wird man nun mal irgendwann vertrieben. Und jede Strategie, auf den ersten Blick für mich unliebsame Tätigkeiten auf wundersame Weise zu vermeiden, stößt zu einem gewissen Zeitpunkt an ihre Grenzen. In diesem Sommer nämlich, wenn ich mich für einen Tag am Stand des Griebener Hofes als Obst-und Gemüseverkäufer ausprobiere.

Um kurz nach sieben geht es da bereits los. Maria Plötze, Tochter der Inhaber, fackelt nicht lange und rüstet mich sofort mit einer grünen Schürze aus, während ich mir etwas träge den Schlaf aus den Augen reibe. Ein Bekannter radelt vorbei und macht große Augen angesichts meines Outfits. Er hätte wohl nicht erwartet, mich eines Tages so zu sehen. Kann ich ihm wiederum kaum übel nehmen.

Zeit ist am Stand nicht zu verlieren. Erstmal entspannt einen Kaffee trinken und gemächlich in den Arbeitstag starten, ist hier nicht drin. Dafür ist schlicht zu viel zu tun. Die ersten Kunden schlagen bereits auf, gleichzeitig wird die Auslage vorbereitet. Wir schleppen Kisten mit Bananen, Pfirsichen, Möhren, Radieschen und Kohl aus dem Lager nach vorne. Dabei schauen Maria Plötze und ihre Kollegin Gabriele Ennuschat sich die Ware ganz genau an. Früchte, die ihren Ansprüchen nicht genügen, werden sofort aussortiert. Das Auge kauft nun mal mit.

„Wir beziehen das Meiste aus der Region. Vieles bauen wir auch zuhause in Grieben an“, sagt Maria Plötze. Sie ist gelernte Verkäuferin und vor einigen Jahren wieder in den Familienbetrieb eingestiegen. Für sie eine logische Entscheidung: „Schon als Kind bin ich nach der Schule von Tangerhütte nach Stendal gefahren, um im Laden zu helfen. Das war das Normalste der Welt für mich.“ Offenbar liegt die Begeisterung für den Beruf in den Genen. Ihr vierjähriger Sohn komme da ganz nach ihr und ist regelmäßig am Verkaufsstand zu Besuch.

Ganz klein hatte es ursprünglich angefangen. Mit dem Eierverkauf auf dem Familienhof in Grieben. Dann entschlossen sich die Plötzes, es in Stendal zu versuchen. Nach 27 Jahren ist der Obst-und Gemüseladen nicht mehr aus der Fußgängerzone wegzudenken.

Nach dem kurzen Plausch geht es zurück zum Wesentlichen. Obwohl die 30-jährige Juniorchefin gar nicht inne gehalten hatte, als sie die Geschichte kurz Revue passieren ließ. Jedenfalls stehen jetzt die Pfirsiche in der Auslage, nebenbei hat sie weitere Kisten ausgepackt. Maria Plötze und Gabriele Ennuschat wirken perfekt aufeinander abgestimmt.

Als Neueinsteiger stehe ich nur staunend daneben, ob des Tempos, mit dem die beiden Granatäpel sortieren, Porree schneiden und das ganze zum Verkauf anordnen. Insgeheim kriege ich ein schlechtes Gewissen. Gefühlt brauche ich für jeden Arbeitsschritt knappe drei Minuten länger als die erfahrenen Verkäuferinnen. Und das ist sehr wohlwollend geschätzt. Was es noch schlimmer macht: Bisher habe ich eigentlich nur bessere Handlangertätigkeiten ausgeführt. Offensichtlich bin ich schon damit komplett überfordert.

Was soll das erst werden, wenn die Feinheiten anstehen? Also Ware wiegen und zum Verkauf fertig machen. Oder die Kasse bedienen. Mir schwant Böses und ich sehe heilloses Chaos aufkommen.

Aber aufgeben gilt nicht. Der erste Tag ist bekanntlich immer der schwerste. Nur nicht von den Anlaufschwierigkeiten entmutigen lassen. Die hat doch jeder Berufsanfänger. Diese Sätze aus dem Reich des verzweifelten Zweckoptimismus machen mir tatsächlich Mut. Was so ziemlich alles über mein Talent zum Verkäufer aussagt.

Zum Glück sind die Damen geduldig mit mir. Nehmen meine Unbeholfenheit mit einer schönen Portion Humor. Offenbar trauen sie mir sogar was zu. Ich darf erstmal die Radieschen in Position bringen. Sehen sie in mir doch eine Verkäuferbegabung, die bislang verborgen geblieben ist? Die Hoffnung löst sich schneller als mir lieb ist in Wohlgefallen auf. Dem prüfenden Blick von Gabriele Ennuschat hält meine Radieschen-Anordnung nicht stand. Völlig zurecht, wenn ich ihre Version nach dem korrigierenden Eingriff betrachte. An meinem ästhetischen Empfinden in Sachen Waren-Auslage muss ich ohne jeden Zweifel noch arbeiten. Wenigstens sammle ich beim Kohl Pluspunkte. Die überflüssigen Blätter zuppele ich zur Zufriedenheit der Expertin ab, dem Verkauf steht nichts im Wege. Das Erfolgserlebnis gibt mir Auftrieb.

Anschließend darf ich auf die andere Seite des Tresens. Noch nicht zum Verkaufen und Kassieren, aber immerhin in die Nähe der Kasse. Fühlt sich ausgesprochen gut an. Sich auf diesem Gefühl auszuruhen, ist leider nicht drin. Die nächste Aufgabe wartet. Melonen werden geschnitten und in Folie verpackt. Mit ein bisschen Nachhilfe kriege ich auch das hin. Langsam aber sicher geht es aufwärts.

Doch dann schaue ich Maria Plötze beim Verkauf über die Schulter. Die Preise der etwa 200 angebotenen Waren kennt sie auswendig. Obendrein zeigt die Kasse den Betrag des Wechselgeldes nicht an. Da fällt mir plötzlich das dritte Ausschlusskriterium bei der Berufswahl wieder ein: Mit Zahlen habe ich es nicht so richtig. Eine schöne Erfahrung war der Ausflug ins verkaufende Gewerbe trotzdem.

Hier geht es zum letzten Teil der Serie.