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Stadtgeschichte Das Goldene Buch ist voll

Angela Merkel, Helmut Kohl: Im Goldenen Buch der Stadt Stendal werden seit Jahrzehnten Politiker, Sportler und Funktioniäre geehrt.

Von Julia Rupf 19.10.2020, 10:43

Stendal l Feine handschriftliche Kalligrafie schmückt jede der einzelnen, robusten Papierseiten. Der dicke Wälzer ist ummantelt von braunem Leder. In der Mitte des Einbands prangt das Stendaler Stadtwappen, das mit einem goldenen Rand versehen ist. Mit weißen Stoffhandschuhen ausgestattet, blättert Rathaus-Pressesprecher Armin Fischbach sorgfältig durch das Goldene Buch. Es ist jetzt voll – und die Volksstimme darf bei der „Reise“ durch 90 Jahre Zeitgeschichte mit dabei sein.

Einmal das Goldene Buch aufgeschlagen, lehrt es über die spannenden Ereignisse der jeweiligen Epoche. So verewigte sich ein Hauptmann a.D. Hermann Roehl als erster Ehrengast am 22. Oktober 1930. Danach ganze sechs Jahre lang niemand mehr. „Zwischen den Kriegsjahren 1939 und 1945 finden sich nur zwei Einträge“, sagt Armin Fischbach, der das Buch voller Stolz im kleinen Sitzungssaal des Rathauses in Stendal präsentiert.

In den frühen Jahren wurden die Seiten künstlerisch eher zurückhaltend gestaltet. Lediglich eine kurze handschriftliche Notiz sollte ausreichen, die man anschließend mit einer Unterschrift „beglaubigte“. „Das Buch wurde damals nicht sehr aufwendig geführt. Das begann erst später“, so Fischbach weiter. Und damit mag der Pressesprecher recht haben: Nach der Wende ging es mit den Einträgen so richtig los. „Bis in die 1980er Jahre dominierte vor allem der Sport.“ Woran das tatsächlich gelegen hat, kann sich Fischbach nicht erklären.

Und das Buch ist ein Spiegel der jeweiligen Zeit: „Nationale Boxveranstaltung“ steht beispielsweise in altdeutscher, roter Schrift geschrieben.

Die Gestaltung der Seite ist zwar bunt – sie unterliegt aber einer heute völlig fremden Ästhetik: Die Zeichnungen erinnern an die Kunstrichtung der traditionellen Seemannskultur. In der oberen Zeile sind zwei männliche Boxer zu sehen, die gegeneinander kämpfen. Der linke Kämpfer trägt ein blaues Unterhemd, sein Gegner hingegen ein gelbes Leibchen. Gekämpft wurde ganz klassisch in dunkelbraunen Lederhandschuhen.

Gerade solche Seiten sind es, die Geschichte erzählen: „Die Einträge sind immer ein offizielles Ereignis und etwas ganz Besonderes. Jeder dieser Ehrungen ist mit seinen Gestaltungselementen und Schriften ein echtes Unikat“, unterstreicht Fischbach.

Dass die Seiten so akkurat gestaltet sind, dafür sorgt das Stadtarchiv. Noch genauer: Seit einigen Jahren ist dafür Thilo Stolzenhain zuständig. „So eine Vorbereitung kann schon mal bis zu einer Woche dauern“, sagt Armin Fischbach.

Wer sich verewigen darf, das entscheiden jeweils Oberbürgermeister Klaus Schmotz (CDU) und der Stadtrat. Mittlerweile bittet die Stadt aber nur noch vergleichsweise selten um Einträge ins Goldene Buch. „Irgendwann würde es sonst seinen Reiz und Stellenwert verlieren“, erklärt der Stadtsprecher.

So bekam am 8. Oktober die Notfallseelsorge Stendal für ihr außerordentliches ehrenamtliches Engagement den letzten Platz im Goldenen Buch reserviert: Superintendent Michael Kleemann setzte seine Unterschrift auf die liebevoll gestaltete Seite.

Wer sich die Unterschriftensammlung einmal selbst anschauen möchte, könnte bald Glück haben: Die Stadt will das Werk öffentlich zugänglich machen. Wo genau, ist noch nicht entschieden. Entweder wird es im Altmärkischen Museum oder im Stadtarchiv aufbewahrt.

Das bedeutet jedoch nicht das Ende der Ehrungen; ein zweites Goldenes Buch liegt bereits seit drei Jahren im Schrank des Oberbürgermeisters – noch unbeschrieben.