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Stadtrat  Wahlbetrug überschattet Arbeit in Stendal

Die Volksstimme startet mit der Serie „Klartext zur Halbzeit“. Den Auftakt macht ein Interview mit Vertretern der CDU, SPD und Linke.

16.12.2016, 08:43

Unsere Serie heißt "Klartext zur Halbzeit". Wie sehen Sie als Mitglieder des Stadtratsvorstandes die Halbzeit-Bilanz des Stadtrates?

Helga Zimmermann (Linke): Vieles ist in diesen zwei Jahren der Briefwahl geschuldet. Manche Diskussion wäre ohne die Wahlfälschung nicht geführt worden und hat von der Sacharbeit abgehalten. Das soll aber nicht heißen, dass es keine Sacharbeit gegeben hat. Im Stadtratsvorstand, auch wenn der eigentlich nicht so heißt, sondern wir einen Vorsitzenden und zwei Stellvertreter haben, arbeiten wir gut zusammen. Wir passen vor allem darauf auf, dass alles ordnungsgemäß vorbereitet ist und abläuft, dass es keine Beleidigungen gibt, sondern die Diskussionen in einer sachlichen Atmosphäre geführt werden.

Reinhard Weis (SPD): Wir hatten den sehr verkorksten Start immer mit im Blick, allerdings haben wir auch einen Arbeitsstil untereinander gefunden. Es wurde immer vernünftig die Tagesordnung der Stadtratssitzungen abgestimmt, es wurde kein Beschluss verpasst, der etwa eine Investition oder anderweitiges Engagement in der Stadt verhindert hätte. Die Stimmung ist am Anfang sehr verdorben gewesen, aber mittlerweile reden wir wieder miteinander, auch über Fraktionsgrenzen hinweg.

Zimmermann: Nicht alle.

Weis: Aber das gab es schon immer, dass der eine oder andere verklemmter war.

Thomas Weise (CDU): Oder schlauer. (Allgemeines Gelächter)

Weise: Bei den Diskussionen hat man schon gemerkt, dass der Wahlbetrug immer mitschwingt. Aber wir arbeiten professionell im Stadtrat, da ist keiner mit einem imaginären Messer im Mund dabei. Ich habe allerdings etwas Paradoxes festgestellt: Die Bürger wollen einerseits, dass die Stadträte in der Diskussion klare Kante gegeneinander beziehen, andererseits möchten sie aber auch harmonische Entscheidungen des gesamten Gremiums. Was mir allerdings im Allgemeinen fehlt, sind Visionen. Gut, es wurde auch einmal gesagt, Politiker, die Visionen haben, sollten zum Arzt gehen, aber es ist doch wichtig, sich Vorstellungen zu machen, wie Stendal in der Zukunft aussehen soll. Ich verstehe natürlich auch, dass es in der konkreten Situation schwierig ist.

Zimmermann: Ich denke mal, wenn der Prozess beginnt, bedeutet das auch eine Veränderung. Wir rechnen mit der Akteneinsicht und dann wird man sehen, wer sich juristisch und wer sich politisch/moralisch schuldig gemacht hat. Beides ist von Bedeutung, man kann sich nicht immer hinter der Justiz verstecken.

Weis: Das Misstrauen schwelt derzeit noch. Wenn die Ermittlungsakten öffentlich werden, wird für alle klar, ob einer oder mehrere am Wahlbetrug beteiligt waren. Am Kleinreden des Ganzen, das steht schon heute fest, waren auf jeden Fall mehrere beteiligt.

Zimmermann: Das Schlimme daran ist ja, dass die Leute auf der Straße nicht auf den Einzelnen oder eine einzelne Fraktion gucken. Die sagen, die sind alle so, alle sind nichts wert.

Wie stellen Sie sich denn eine Aufarbeitung vor?

Weis: Der eine oder andere muss zugeben, dass er falsch gehandelt, die Situation falsch eingeschätzt hat. Und das muss zur Sprache kommen, auch wenn es juristisch nicht relevant ist.

Zimmermann: Als wir einen Sonderausschuss anberaumen wollten, wurde uns vorgeworfen, wir wollten auch andere mit reinziehen, obwohl doch nur einer für den Wahlbetrug verantwortlich war. Doch es ging immer darum, zurück miteinander ins Gespräch zu finden.

Weise: Man hätte stärker hinschauen müssen. Das habe ich nicht getan, andere auch nicht. Erst mal habe ich mit dem Wahlbetrug direkt nichts zu tun, dennoch trage ich eine Mitschuld. Holger Gebhardt haben wir immer nur als Sekretär gesehen. Wir haben ihn nie nach seiner Meinung gefragt, weil wir wussten, der hat keine. Und nun wollte er uns allen zeigen, was für ein toller Hecht er ist. Ich würde mir mehr Offensive von der Partei wünschen. Andererseits, als Unternehmer stehe ich in der Verantwortung für den Unternehmer, stelle mich vor ihn, als Familienvater vor die Familie. Als Stadtratsvorsitzender versucht man doch auch, sagen wir mal, ein Problem zu lösen, ohne dass das Gremium Schaden nimmt.

Weis: Das mit der Fürsorgepflicht erkenne ich durchaus an. Es müssen aber auch Grenzen eingehalten werden. Und eine Grenze ist überschritten, wenn ein Gesetzesverstoß weggeredet werden soll.

Zimmermann: Das sehe ich auch so. Das eine ist die Tat und das andere ist, wie danach damit umgegangen worden ist.

Im 2. Teil des Interviews geht es um Visionen für Stendal, in der 3. Folge um Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung.

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