StadtratVisionen für Stendal

Die Volksstimme startet mit der Serie „Klartext zur Halbzeit“. Den Auftakt macht ein Interview mit Vertretern der CDU, SPD und Linke.

19.12.2016, 23:01

Um die Stadt voran zu bringen, bedarf es Visionen. Wie könnte denn der Stadtratsvorstand dazu beitragen?

Thomas Weise: Das ist schwer zu sagen, letztlich muss der Impuls von jedem einzelnen Stadtrat kommen. Über uns hängt immer noch das Damoklesschwert der Wahlwiederholung, noch ist nicht klar, ob die angefochtene Kandidatenaufstellung der FDP zu einem neuen Wahltermin führen wird. Da beschäftigen sich manche noch nicht mit der fernen Zukunft. Zu den grundsätzlichen Aufgaben von Stadträten gehört es aber, die Verwaltung zu kontrollieren, eigene Ideen einzubringen und die Verwaltung vor sich herzutreiben. Ich habe manchmal den Eindruck, Teile der Verwaltung sehen Stendal wie eine niedersächsische Provinz. Da hält man sich beispielsweise krampfhaft an Vorschriften fest, etwa, dass Eigenheime nicht mehr als zwei Geschosse haben dürfen. Wenn jetzt aber jemand einen Zwölfgeschosser in der Innenstadt bauen wollte, das wäre doch eine coole Idee. Ob man die durchgesetzt bekommt, ist ja eine ganz andere Frage.

Sie sagen, Stendal ist keine Provinz, wie kann man denn wieder auf eine Einwohnerzahl von 50 000 kommen?

Weise: Es sind mit dem Zug nur 35 Minuten bis Spandau, in einer Dreiviertelstunde ist man am Berliner Hauptbahnhof. Es gibt ungefähr 4500 Auspendler, die täglich nach Berlin fahren. Das Zugbistro ist ein wahrer Treffpunkt der Stendaler. Bis auf die noch fehlende Autobahn sind die Verkehrsverbindungen sehr gut, die Amerikalinie wird ausgebaut. Jüngst traf ich den Oberbürgermeister von Tübingen, der häufig in Berlin ist. Er fährt dann mit dem Zug an Stendal vorbei und wollte wissen, ob die Stadt so wohlhabend ist, wie es die vier Kirchen glauben machen lassen. Ich sagte, er solle doch mal aussteigen. Wir könnten wirklich mehr aus dem machen, was Stendal bietet.

Reinhard Weis: Alle Besucher sagen, dass sich Stendal gut entwickelt hat. Eines der großen Ziele, die Wiederbelebung der Innenstadt, haben wir auf jeden Fall erreicht. Es fehlt aber in der Tat die Vision, wohin sich Stendal weiterentwickeln soll. Was bieten wir Menschen an, die hierher ziehen sollen, welche Investoren können wir interessieren? Diese Fragen müssen beantwortet werden. Nur die Berlinpendler reichen nicht aus. Und wir haben noch mehr Defizite in der Infrastruktur, nicht nur die fehlende A 14. So gibt es im Altoa kein Planschbecken im Außenbereich, manchmal sind solche Faktoren schon entscheidend. Gegenüber Tangermünde ist Stendal etwas abgehängt, hier gibt es beispielsweise kein Hotel, das mehrere Busladungen aufnehmen kann oder in dem die Teilnehmer einer großen Konferenz übernachten können. Wir brauchen eine Vision für die Stadt, daran arbeitet keiner.

Helga Zimmermann: Doch. Vor etwa eineinhalb Jahren haben wir beschlossen, kinderfreundliche Stadt zu werden. Ein Arbeitskreis mit 100 Leuten hat den Zustand analysiert und Ideen entwickelt. Das geschah im Rahmen des bundesweiten Programms Zukunftsstadt 2030. Stendal gehörte zu 50 Kommunen in Deutschland, die zweite Runde, in der noch 20 Kommunen sind, haben wir nicht erreicht. Die weitergekommen sind, haben allerdings auch konkrete Bauprogramme, das fehlt hier. Kinderfreundliche Kommune ist aber die richtige Idee, um junge Familien hier zu holen, sie sind die Zukunft. Mit oder ohne Programm, der erste Schritt ist getan, jetzt muss es weitergehen.

Was können Sie sich vorstellen, wie das Verhältnis zwischen Bürgern und Stadtrat verbessert werden kann?

Zimmermann: Den Bürgern und insbesondere jungen Leuten muss erklärt werden, wie die Regularien in der Kommunalpolitik funktionieren. Dazu geeignet sind Einwohnerversammlungen oder auch Besuche von Stadträten im Sozialkundeunterricht, um die Schüler zu informieren.

Weis: Ähnliche Erfahrungen habe ich als Bundestagsabgeordneter gemacht. Das muss alles erst erklärt werden, wie kommt es zu einem Beschluss, welche Vorgeschichte hat das. Die Stadt hat ein sehr gutes Angebot für den Bürger, sich im Internet zu informieren. Außerdem werden Bürgersprechstunden angeboten und man kann ein Stadtratsmitglied ja auch bei anderer Gelegenheit persönlich ansprechen. So gibt es viele Möglichkeiten, auf die Entscheidungsfindung Einfluss zu nehmen, bevor der Stadtrat tagt. Es wurde oft kritisiert, dass in der Bürgerfragestunde nicht mehr zu Themen, die auf der Tagesordnung stehen, Fragen gestellt werden dürfen. Ich finde das richtig, denn die Diskussion findet bereits vorher statt.

Sollte es noch mehr Möglichkeiten für Einwohner geben, sich in die Ausschüsse einzubringen?

Zimmermann: Ich bin sehr für Offenheit, nicht nur in den Ausschüssen. Es gibt die Vorlagen im Internet, die Fraktionssitzungen sind zumeist öffentlich und auch in Ausschüssen, in denen es kein Rederecht gibt, kann ein Ausschussmitglied das beantragen. In Stendal ist das seit Jahren gute Sitte, dass dem auch zugestimmt wird.

Weis: Dass das funktioniert, sieht man ja an der Diskussion um die Grundschule Nord.

Weise: Gerade die würde ich nicht als ein gutes Beispiel sehen. Ein Jahr, nachdem die eigenen Kinder die Schule verlassen haben, interessieren sich die Engagierten gar nicht mehr so dafür.

Zimmermann: Diese Erfahrungen habe ich beim Thema Schule auch gemacht.

Weis: Allerdings muss man bedenken, dass die Mehrzahl erst über ein eigenes Problem den Einstieg zur Mitarbeit in der Kommunalpolitik findet.

Zimmermann: Man sollte auf jeden Fall erst einmal zuhören, was der Bürger für ein Anliegen hat und auf keinen Fall Versprechungen machen.

Im dritten Teil des Volksstimme-Interviews geht es um die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung.

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