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Unfall-Prozess Fahrer wollte sich wohl umbringen

Am Weihnachtstag 2017 verursachte ein 45-Jähriger bei Tangermünde einen tödlichen Unfall. Er war psychisch labil.

Von Wolfgang Biermann 23.01.2019, 23:01

Stendal l Um die strafrechtliche Verantwortlichkeit für einen schweren Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang am Abend des ersten Weihnachtsfeiertages 2017 auf der Elbebrücke bei Tangermünde, nahe der Abfahrt Fischbeck, ging es am Dienstag für den 45-jährigen Unfallverursacher in einem emotionsgeladenen Prozess vor dem Amtsgericht Stendal. Bei einen Frontalzusammenstoß starb eine völlig unschuldige 46-jährige Mitsubishi-Fahrerin noch an der Unfallstelle an einem Polytrauma. Zwei in ihrem Auto befindliche Männer wurden teils schwer verletzt.

Am Ende des Prozesses wurde der 45-Jährige, der zur Tatzeit im Jerichower Land wohnte und heute in Brandenburg lebt, wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit zweifacher fahrlässiger Körperverletzung zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Richter Thomas Schulz setzte die Haftstrafe für drei Jahre zur Bewährung aus.

Der Angeklagte am Steuer eines Renault-Transporter war dem Mitsubishi auf dessen Fahrbahn entgegengekommen. Trotz relativ geringer Geschwindigkeit sowie Ausweich- und Bremsmanövern der Fahrerin kam es zur Kollision. Ihr Lebensgefährte (47) und dessen Sohn (17) wurden per Rettungshubschrauber beziehungsweise Rettungswagen in Krankenhäuser nach Berlin und Brandenburg gebracht. Sie hatten sich auf dem Heimweg von Seehausen nach Schönhausen befunden.

Neben der Bewährungsstrafe beauflagte das Gericht den Angeklagten, 1000 Euro an einen gemeinnützigen Verein zu zahlen. Zudem muss der bislang nicht vorbestrafte, in einem Heilberuf tätige Angeklagte noch mindestens weitere sechs Monate auf seinen vor einem Jahr eingezogenen Führerschein verzichten.

Er hatte vor dem Unfall am 26. Dezember 2017 gegen 19.40 Uhr am Steuer des Renault-Transporters nach eigenen Angaben in Suizidabsicht einen Cocktail von nicht frei erhältlichen Medikamenten intus: hochdosierte Schmerztabletten, wie sie Krebspatienten bekommen, und dazu noch Antidepressiva. Außerdem hätte er zwei Miniflaschen Likör konsumiert, gab er an.

Das Ganze erklärte er so: Er hätte damals mit zwei Frauen gleichzeitig gelebt, deshalb seit längerem psychische Probleme und trug sich mit Selbstmordgedanken. Und so will er am Tattag – ohne konkreten Plan und angeblich ziellos – von zu Hause losgefahren sein, um sich zu töten. Dazu hätte er die Tabletten bei sich gehabt. Die Schmerztabletten habe er seiner Mutter entwendet, die Antidepressiva seien ihm verordnet gewesen.

In Havelberg hat er sich nach eigener Aussage auf einen Parkplatz gestellt, die Tabletten genommen, dazu den Likör getrunken, im Auto einen Abschiedsbrief geschrieben und auf den Tod gewartet. Als dieser nach zwei Stunden nicht eingetreten sei, habe er angenommen, dass die Tabletten ihre Wirkung verloren hätten. Angeblich seien die schon länger in seiner Jacke gewesen und mit dieser schon „mehrfach gewaschen“ worden. Wegen der angenommenen Unwirksamkeit habe er sich wieder auf den Heimweg gemacht.

An die Fahrt selbst und den Unfall habe er keine Erinnerung. Erst in der Psychiatrie in Uchtspringe sei er wieder zu sich gekommen. Er sei derzeit in ambulanter Behandlung bei einem Psychologen. Beim Unfall war er nach Polizeiangaben nur leicht verletzt worden. Den Unfall bedauere er sehr, er würde ihn gerne ungeschehen machen. Der Mitsubishi-Beifahrer erlitt beim Unfall unter anderem einen Lungenriss, sechs Rippenbrüche, einen Armbruch und Gesichtsverletzungen. Neun Tage lag er im Koma. Der 47-Jährige war acht Monate arbeitsunfähig und hat noch heute zahlreiche Platten, Schrauben, Drähte und Nägel im Körper. Sein Sohn war weniger schwer verletzt, er hatte „nur“ einen Nasenbein- und einen Armbruch.

Beide Männer gaben an, dass sie den Renault auf ihrer Spur „in Schlenkern“ haben auf sich zukommen sehen. Blickkontakte zwischen den Opfern und dem Angeklagten gab es keine im Gericht. Sein Mandant habe sich schriftlich an sie gewandt, sagte der Verteidiger.

Er wollte eine Geldstrafe für den 45-Jährigen. Doch die sei nicht mehr möglich, hieß es in der Urteilsbegründung, weil sich die Tat „hart an der Grenze zum Vorsatz“ bewege. Sie unterscheide sich erheblich von sonst üblichen Augenblicksversagen in anderen Verfahren um fahrlässige Tötung im Straßenverkehr, so Richter Schulz.