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Verkehrsdelikt Polizei weckt betrunkenen Fahrer

Vor dem Stendaler Amtsgericht wurde ein Fall von Trunkenheit im Straßenverkehr verhandelt, dessen Geschichte schier unglaublich klingt.

Von Wolfgang Biermann 02.07.2017, 01:00

Stendal l In Deetz, einem kleinen Dorf an der innerorts sehr kurvigen Landesstraße 30 zwischen Kläden und Vinzelberg, sorgt sich ein Vater um seine kleine kranke Tochter. Auf dem Weg vom elterlichen Schlafzimmer zur Tochter im Nachbarzimmer vernimmt der 36-Jährige am 12. Dezember vorigen Jahres um 23.25 Uhr vor dem Kinderzimmerfenster ein Auto mit laufendem Motor. Darin sitzt reglos ein Mann am Steuer, wie der Vater beim Leuchten mit der Taschenlampe bemerkt. Braucht der Mann Hilfe?

Die Autotüren sind verschlossen. Der Motor läuft nicht nur, der Stellschalter am Automatikauto steht auf Stufe D (für Dauerbetrieb). Das Auto fährt wohl nur nicht, weil der Druck aufs Gaspedal offenbar nicht groß genug ist und zudem die Vorderräder quer zum Bordstein stehen.

Der Vater sichert zunächst die Räder gegen mögliches Wegrollen. Dann klopft er – erst zaghaft, dann hämmernd gegen die Autoscheiben. Keine Reaktion, der verhinderte Helfer sieht den Mann am Steuer aber atmen. Er rüttelt weiter – nichts passiert. Er weiß sich keinen Rat mehr und alarmiert über den Notruf 112 den Rettungsdienst, der unvermittelt eintrifft. Doch auch Notarzt und Sanitäter bekommen weder den Wagen auf, noch den Mann im Auto wach. Man ruft die Polizei.

Die kommt aber erst etwa 20 Minuten später aus Osterburg, weil die Stendaler Kollegen anderweitig im Einsatz sind. Gemeinsam beratschlagen Rettungskräfte und Polizisten, was zu tun ist. Zuvor hatten auch die Polizeibeamten das Auto vergeblich gerüttelt und geschüttelt.

Ein Polizist schlägt daraufhin eine Heckscheibe des Autos ein, um die Türen öffnen zu können. Notarzt und Sanitäter stellen sodann fest, dass der Mann weder krank, noch verletzt ist – nur völlig betrunken. Eine Blutentnahme um 1.40 Uhr ergibt noch einen Blutalkoholwert von 1,87 Promille. Die Rettungskräfte bringen den Mann mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus. Soweit der Sachstand, wie er sich aus den Aussagen der Polizisten und des Vaters beim Prozess gegen den Fahrer aus der Region Tangerhütte ergibt.

Hier nun die Version des 27-Jährigen. Er gibt an, er sei am Nachmittag mit dem Auto zu einem Kumpel in ein Dorf bei Bismark zur „Pullerparty“ gefahren und hätte dort kräftig Alkohol konsumiert. Zuvor hätte er sich eine Schlafgelegenheit beim frischgebackenen Vater eines Sohnes gesichert. Keinesfalls hätte er mit dem Auto nach Hause fahren wollen. Während der Feier hätte ihn ein Unbekannter angesprochen. Ob er nicht mit ihm nach Hause fahren könne, hätte der wissen wollen. Er sei ebenfalls aus der Region Tangerhütte. Alkohol sei kein Problem, er hätte überhaupt nichts getrunken und würde den Part des Fahrers übernehmen. Ab dann wisse er nichts mehr, so der Angeklagte.

Irgendwann sei er in seinem Auto auf dem Beifahrersitz sitzend wachgeworden. Die Fahrertür hätte offen gestanden. Vom Fahrer keine Spur. Er hätte sich auf den Fahrersitz gesetzt, das Auto verriegelt und wäre sofort wieder eingeschlafen. Erst im Rettungswagen sei er wieder zu sich gekommen.

Das Amtsgericht hatte im Prozessvorfeld auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 25 Euro (750 Euro) erlassen. Und dazu eine Sperrfrist zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis von neun Monaten angeordnet. Dagegen hatte der nach eigenen Angaben europaweit als Techniker im Außendienst tätige Angeklagte Einspruch eingelegt, sodass es jetzt zum Prozess kam. Dabei hatte der 27-Jährige wohl mehr den Erhalt seiner Fahrerlaubnis als die Geldstrafe im Visier.

Richter und Staatsanwalt versuchten ihn zur Rücknahme des Einspruchs zu bewegen. Zum einen würde sich aufgrund der Sachlage und vieler offener Fragen per Urteil nichts an der Länge der Sperrfrist ändern. Und zum anderen würde die Geldstrafe wesentlich höher ausfallen. Staatsanwaltschaft und Gericht waren nämlich von einem geringeren Monatseinkommen ausgegangen. Statt 750 Euro wären nunmehr 1800 Euro fällig.

Erst da lenkte der Angeklagte ein und zog den Einspruch zurück.