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Verkehrsplanung Kein Radweg ohne Straßenbau

Was den Radverkehr in Stendal angeht, gibt es noch Verbesserungsbedarf. Die Volksstimme sprach dazu mit den Verkehrsplanern.

Von Nora Knappe 29.09.2016, 01:01

Stendal l Stendal ist nicht Münster – und wird es auch nicht werden. Wer als Radfahrer davon träumt, dass sich der Autoverkehr eher dem Radverkehr unterordnet oder wenigstens anpasst, der muss es beim Träumen lassen. Oder umziehen. Nicht mit diesen Worten, aber eben so realistisch-nüchtern sieht Georg-Wilhelm Westrum die Situation für Stendal. Und sig­nalisiert dabei doch auch Bedauern. „Das Auto spielt hierzulande einfach eine große Rolle, da sind die Menschen eben konservativ“, sagt der Leiter des Stendaler Amtes für Stadtumbau und Sanierung im Volksstimme-Gespräch. Aber immerhin habe es in Münster, um beim Beispiel zu bleiben, ja auch Jahrzehnte gedauert, bis die Stadt so Radfahrer-mustergültig wurde, wie sie heute ist.

Was nun den Radverkehr und die Ausstattung mit Radverkehrsanlagen in Stendal betrifft, ist Westrum dennoch nicht unzufrieden. „In der Rückschau der letzten 20, 25 Jahre betrachtet, hat sich unser Angebot für Radfahrer stark erweitert, und die Radnutzung in Stendal hat erheblich zugenommen. Der Status quo ist gut, aber es gibt natürlich noch Potenzial und Optimierungsbedarf.“ Es war und soll auch zukünftig „erklärter Wille sein, dass die Stadt für Radfahrer attraktiver wird“.

Im November 2000 hatte der Stendaler Stadtrat ein Radwegekonzept beschlossen. Als Kerngedanke wurde darin formuliert, „die Infrastruktur des Radwegeverkehrs so zu entwickeln, dass ein lückenloses, sicheres und attraktives Radwegenetz, welches das Stadtzentrum mit allen übrigen Bereichen unserer Stadt, einschließlich der eingemeindeten Ortsteile, verbindet“, entsteht. Es müsse „in Zukunft gelingen, dass immer mehr Verkehrswege in der Stadt mit dem Fahrrad oder zu Fuß erledigt werden“ – in Verbindung mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Zukunft – das war damals das Heute, und doch werden Radfahrer auch heute und immer wieder noch viel zu monieren haben. „Das Thema Radverkehr ist auch nicht endlich, es wird immer eine Rolle spielen“, sagt Westrum.

Das Konzept dazu war keines für die Schublade, vieles daraus wurde erreicht. Westrum nennt Beispiele: „Die gute Vernetzung ins Stadtseegebiet war ein Kernthema, ebenso die Anbindung an die ÖPNV-Schnittstelle am Bahnhof samt der Fahrradpark­anlage mit abschließbaren Boxen, außerdem die Radwegeführung um die Altstadt und die Schaffung bestimmter Achsen und Verbindungswege.“

Der Radverkehr wird allerdings nicht von heute auf morgen in einen Idealzustand gebracht. „Das Thema Radweg ist bei den Planungsbehörden immer präsent, die übergeordneten Ziele dazu sind verinnerlicht“, versichert Georg-Wilhelm Westrum. Und Jörg Stephan vom Tiefbauamt ergänzt: „Radwege sind immer dann Thema, wenn eine Straßenbaumaßnahme ansteht. Und da, wo wir fahrbahnunabhängig bauen können, machen wir das nach Möglichkeit auch.“ Siehe Wall- oder Stadtseepromenade.

Dass jedoch nicht Straßen oder Brücken ohne Sanierungsvorhaben auf- oder abgerissen werden, um an ihre Seite einen schicken Radweg zu bauen, das, so hoffen die Planer, verstünden die Menschen sicher. „Das Geld dafür muss ja auch erst einmal da sein“, sagt Stephan. Und Straßensanierungsvorhaben gebe es noch eine Menge. Geduld ist also gefragt. Dass die Dahlener Straße und die Lüderitzer Straße zum Beispiel derzeit für Radfahrer unbefriedigend und teils gefährlich sind, ist der Stadtverwaltung bewusst. „Da besteht auf jeden Fall Handlungsbedarf und es gibt Pläne“, sagt Westrum ein. Gleiches gelte für die Tangermünder Straße.

„Die ideale Straße haben wir sowieso nicht, letztlich läuft es immer auf einen Kompromiss hinaus“, sagt Nadine Jäger von der örtlichen Verkehrsbehörde und meint damit die verschiedensten Interessengruppen, die jede für sich am liebsten alles aus ihrer Sicht gelöst haben wollen: die Anlieger wie die Durchfahrenden, die Autofahrer wie die Radfahrer und die Fußgänger, die Sehschwachen wie die Senioren mit Rollator... Jede dieser Sichtweisen hat ihre Berechtigung, sind aber dennoch manchmal schwer unter einen Hut zu bringen. Und dann sind da ja noch diverse DIN-Vorschriften, Gesetze und Denkmalschutzbelange und verschiedene Zuständigkeiten von Baulastträgern. Selbst Städte mit ähnlicher Einwohnerzahl taugen nur bedingt als Vorbild, da die verkehrlichen und baulichen Gegebenheiten eben überall anders sind.

„Das eine Modellkonzept gibt es nicht, da muss meist im Einzelfall entschieden werden, was gut und sinnvoll ist“, erklärt Westrum. In der Heerener Straße sei das gut gelungen – indem für Radfahrer alles so geblieben ist wie zuvor. Eigentlich hätte rein rechtlich der Gehweg nicht in beide Richtungen für Radfahrer freigegeben werden dürfen, und Platz für einen Radweg auf der stadtauswärts führenden Seite war nicht. „Da konnten wir aber einen Kompromiss erreichen“, freut sich Jörg Stephan.

Ein Reizthema für viele Verkehrsteilnehmer sind Beschilderungen. „Planer und Gesetzgeber wollen weg von Schildern, für viele Menschen sind Schilder jedoch unerlässlich“, sagt Westrum. Sie fühlten sich damit sicherer und wähnten das Recht auf ihrer Seite. Schilder jedoch – und so ausgewiesene Radwege – sind kein Allheilmittel. Diese Erkenntnis habe sich bei Nadine Jäger auch erst allmählich überzeugend durchgesetzt: „Das Fahren im normalen Verkehr auf der Fahrbahn ist für Radfahrer wesentlich sicherer als auf Radwegen, das ist durch Unfallstatistiken erwiesen. Radwege suggerieren nur eine vermeintliche Sicherheit.“ Schließlich komme es vielmehr auf die so oft zitierte, aber oftmals nicht beherzigte Regel Nummer 1 aus der Straßenverkehrsordnung an: gegenseitige Rücksichtnahme.

Aufmerksam sein, sich orientieren und aufeinander Acht geben – was selbstverständlich sein sollte im menschlichen Miteinander, funktioniert nicht automatisch. Umso besser aber, so scheint es, je weniger es reguliert ist. Wo keine Bordsteine Fußweg und Fahrbahn sichtbar trennen, muss jeder mehr Acht geben. Das nimmt auch automatisch Tempo raus. „Das hätte ich mir in der Innenstadt an vielen Stellen gewünscht“, sagt Westrum, „aber es ist eben nicht immer alles durchsetzbar.“