Wahlfälschung Aus der Spur geraten

Lange hat Ex-Stadtrat Holger Gebhardt für die CDU-Spitze in Stendal funktionert, im Strafprozess belastet er sie jetzt.

18.01.2017, 23:01

Stendal l Ganz am Ende des gestrigen zweiten Verhandlungstages sprach dann auch Holger Gebhardt erstmals selbst. Wie er denn die Stimmen bei der Kreistagswahl verteilt habe, bei der er selbst ja nicht angetreten war, wollte die Vorsitzende Richterin Simone Henze-von Staden von ihm wissen. „Einmal zwei für Kühnel und eine für Güssau, beim nächsten Stimmzettel dann eine Stimme für Kühnel und zwei für Güssau“, beschrieb ihr der wegen Wahl- und Urkundenfälschung Angeklagte das Prinzip.

Warum er überhaupt auch bei der Kreistagswahl gefälscht habe, wollte die Richterin dann wissen. „Er hatte den Auftrag bekommen“, sprang Gebhardts Verteidiger Uwe Kühne bei.

Die ersten beiden Prozesstage lassen tief blicken. Entweder lügt Gebhardt hemmungslos – was für Angeklagte nicht verboten ist. Oder die von der Stendaler CDU-Spitze lange gepflegte – und von deren Basis gerne geglaubte – Theorie vom Einzeltäter hat sich mit den ersten beiden Prozesstagen erledigt.

Holger Gebhardt hatte bereits in der vorigen Woche eine bemerkenswerte Erklärung verlesen lassen. Bei Wahlen habe CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel „nichts dem Zufall überlassen“. Zudem habe dieser „Druck aufgebaut“. Die Basis für ein gutes Wahlergebnis sollte deshalb im Mai 2014 vor dem Wahltermin über die Briefwahl gesichert werden.

Dass Gebhardt eine angeblich im CDU-Büro vorhandene Liste mit Personen-Daten und Unterschriften nur „übergeben“ bekommen, aber nicht selbst angelegt haben will, würde ihn nur wenig entlasten, wenn es denn so stimmt. Vielmehr stellt sich dann aber die Frage, wer diese Liste erstellte, kannte und an ihn weitergegeben hat.

Namen nennt der 43-Jährige (noch?) nicht. Doch gestern legte Gebhardt nach: Wenn es stimmt, dass er in der heißen Wahlkampf-Endphase für die Vollmachten bereits Vorarbeiten vorgefunden hat, um die Unterschriften nur noch „abzupausen“ und Stimmzettel „zum Teil“ bereits ausgefüllt waren, dann wird die Luft dünn: Nicht für die beiden Mitarbeiterinnen der CDU-Geschäftsstelle, die dem Gericht gestern recht eindeutig ihre Arg- und Ahnungslosigkeit demonstrierten. Auch die beiden Abgeordneten Jörg Hellmuth und Hardy Peter Güssau dürfen dafür kaum infrage kommen. Dann bleibt nur noch einer, der die Schlüssel- und Befehlsgewalt hatte: CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel.

Ihn hätte das Gericht gestern eigentlich als ersten Zeugen vernehmen wollen. Doch Kühnel ist derzeit am anderen Ende der Welt – im Urlaub in Südafrika.

Wenn er am 15. Februar geladen ist, muss er sich nicht selbst belasten. Denn das Verfahren gegen ihn ist nur vorläufig eingestellt worden und kann bei neuen Erkenntnissen wieder aufgerufen werden.

Allerdings bricht dann womöglich die Strategie von CDU-Landeschef Thomas Webel in sich zusammen. Der hatte „schonungslose Aufklärung“ versprochen – „ohne das Ansehen von Personen“. Konsequent ausgelegt, bedeutet dies schlimmstenfalls auch die eigene Belastung.

Welche Rolle Kühnel auch gehabt haben mag – was Gebhardt angedeutet hat, sollte er schon sehr glaubwürdig entkräften. Andernfalls hat die Partei ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

Ohnehin legt der Prozess durch die von Staatsanwältin Annekathrin Kelm benannten Zeugen Schicht für Schicht das Innenleben des ehemaligen engeren CDU-Zirkels frei.

Wie war das Verhältnis von Kühnel und Gebhardt? „Herr Kühnel war der Chef, Herr Gebhardt der Angestellte“, umschrieb es Güssaus Mitarbeiterin Angela B. Dass der Chef den Angestellten besonders gefördert habe, könne sie nicht sagen, entgegnete sie der wissbegierigen Staatsanwältin.

Und wie gingen Güssau und Gebhardt miteinander um? Sie seien sehr eng verbunden gewesen, erzählte Güssaus Ex-Lebensgefährtin Candy W. Güssau habe an ihm geschätzt, dass er „zuverlässig“ und „jederzeit abrufbar“ gewesen sei. Auf Augenhöhe war das Verhältnis wohl nicht. „Ich denke, dass Hardy schon immer etwas drüber gestanden hat. Das ist sein Charakter, sowohl privat als auch politisch“, so Candy W.

Dass der Landtagsabgeordnete Gebhardts Praktiken genau gekannt habe, glaubt seine ehemalige Freundin allerdings nicht: „Er würde seine Karriere doch nicht aufs Spiel setzen.“