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Wahlfälschung Zeugin: "Angst vor Holger Gebhardt“

Druck, Falschaussagen, Zeugenbeeinflussungen - der dritte Tag im Stendaler Wahlfälschungsprozess lieferte interessante Einsichten.

26.01.2017, 01:00

Stendal l Es fällt ihr an einigen Stellen hörbar schwer, weiter zu sprechen. Ivonne M. schluckt mehrmals, greift ab und an zu ihrem Taschentuch, spricht mit einer gebrochenen Stimme: Auch wenn die junge Frau mit den langen tiefbraunen Haaren mit dem Rücken zum Publikum sitzt, lassen sich ihre Tränen in den Augen erahnen.

Ivonne M. nutzt ihre Vernehmung zum Auftakt des dritten Prozesstages und macht reinen Tisch – sie korrigiert ihre Angaben, die sie vor zwei Jahren bei der Polizei gemacht hatte. Aus geplanten 30 werden so am Ende 80 Minuten.

Im Dezember 2014 hatte die heute 38-Jährige erklärt, dass sie und ihre Chefin Antje M. mit dem Karton voller Briefwahlvollmachten von Stendal zurück zum Betrieb nach Kläden gefahren seien. Dort habe Antje M. dann die Kiste in die Raucherecke gestellt.

„Ich sollte es so sagen“, gesteht sie jetzt.

Ihre Chefin habe die Geschichte immer wieder so wiederholt. „So war es doch, Vonni“, habe sie suggeriert. Sogar noch am Tag vor dem Prozesstermin – mit einem Anruf aus Berlin habe Antje M. versucht, dass sie bei dieser Version bleibt.

Doch so war es offenbar nicht. Antje M. und sie hätten vielmehr die im Rathaus abgeholten Briefwahlunterlagen direkt auf dem Grundstück der Agentur für Arbeit übergeben. Warum sie dies der Polizei anders erzählt hatte, erklärt Ivonne M. nach heftigem Schlucken: „Ich hatte Angst, meine Arbeit zu verlieren.“

Sie habe ohnehin von Anfang an „Zweifel“ gehabt, Holger Gebhardt bei den Briefwahlvollmachten zu unterstützen. Zumal er auch nicht vertrauenserweckend gewesen sei. Doch Antje M., mit der sie seit fast zwei Jahrzehnten befreundet sei, habe ihr gut zugeredet.

Als im Sommer 2014 die ersten Pannen im Stendaler Rathaus bekannt werden, habe sie ihrer Chefin anvertraut, dass sie am liebsten zur Polizei gehen möchte. Damals sei dann Gebhardt ins Büro gekommen und habe gesagt, sie brauche sich keine Gedanken zu machen, „wir haben alles im Griff“.

Doch Antje M. habe ihr später berichtet, dass der damalige CDU-Stadtrat auch Druck auf sie ausgeübt habe. Etwa Mitte Oktober soll dies gewesen sein – als sich bei den zahlreichen Vernehmungen der vermeintlichen Vollmachtgeber die Fälschungen offensichtlich wurde. „Du weißt, was mit denen bei der Sparkasse passiert ist“, habe Antje M. ihr gegenüber Gebhardts Drohung zitiert.

Ob sie damit etwas anfangen könne, will Richterin Simone Henze-von Staden von Ivonne M. wissen. „Da gab es doch den Skandal mit der Veruntreuung“, entgegnet diese.

Antje M. habe „große Angst“ vor Gebhardt gehabt, dass er „der Firma schaden“ könne. Für sei die Angst „glaubhaft“ gewesen.

Ursprünglich war Antje M. direkt im Anschluss geladen. Doch der Termin wurde auf den 15. Februar verschoben. Auf die Frage der Richterin, wo Antje M. denn heute sei, antwortet deren Mitarbeiterin: „Auf der Grünen Woche.“

Der von Antje M. inzwischen getrennt lebende Ehemann Wolfgang M. ist dagegen erschienen. Und er will auch aussagen. Auch nachdem ihn Henze-von Staden belehrt hatte, dass er schweigen könne. Schließlich ordnet sie für ihn einen Anwalt als Beistand an und vertagt die Vernehmung.

Sehr zur Verwunderung von Staatsanwältin Annekathrin Kelm: „Der Mann betreibt ein Unternehmen.“ Henze-von Staden: „Nach dem, was sich vorhin gehört habe, habe ich auch eine Fürsorgepflicht.“