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Wahlskandal Wolfgang Kühnel ist der erste Zeuge

In der zweiten Januarwoche startet der Prozess, der die Briefwahlfälschung in Stendal vom Mai 2014 juristisch aufrollen wird.

12.12.2016, 23:01

Stendal l Für den 10. Januar hat Richterin Simone Heinze-von Staden, Vorsitzende der Strafkammer 1 am Stendaler Landgericht, den ersten Termin anberaumt.

Wenn sie dann mit zwei Richtern und zwei Schöffen um 9 Uhr die Verhandlung eröffnet, schlägt zunächst einmal die Stunde von Staatsanwältin Annekatrin Kelm. Sie wird die Anklage vortragen, die nach rund zweijähriger Ermittlungsarbeit im Herbst fertiggestellt worden war. 16 Seiten umfasst die Anklageschrift, die die Stendaler Staatsanwaltschaft Ende Oktober Gebhardt zugestellt hatte.

Insgesamt 2900 Seiten dick ist die komplette Akte. Acht Kartons mit Leitz-Ordnern hatte Kelm im Oktober persönlich im Landgericht am Dom abgegeben. Beim bislang größten Wahlskandal im Land Sachsen-Anhalt wollten die Ermittler offenbar nichts dem Zufall überlassen.

Am 6. Dezember hat die Strafkammer 1 das Verfahren offiziell eröffnet. Sie hat die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen Holger Gebhardt ohne Einschränkungen zugelassen.

Die Strafermittler werfen dem ehemaligen CDU-Stadtrat Wahl- und Urkundenfälschung in 300 Fällen vor. So soll Gebhardt 140 Vollmachten gefälscht haben, um an Briefwahlunterlagen zu gelangen. In 160 Fällen soll er anschließend Briefwahlunterlagen für die Stadtrats- und Kreistagswahl gefälscht haben ‑ das wären insgesamt 960 Stimmen. Urkunden- und Wahlfälschung kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe geahndet werden.

Der erste Zeuge, der gleich zu Beginn des zweiten Verhandlungstages am 18. Januar eingeladen worden ist, verspricht einen spannenden Auftakt: CDU-Kreisvorsitzender Wolfgang Kühnel gehört zu den zehn Bevollmächtigten, die für Gebhardt rund 180 Vollmachten im Rathaus einlösten. Mit mehr als 30 hatte Kühnel die meisten abgeholt.

Sachsen-Anhalts dienstältester CDU-Kreischef hatte ebenso wie die Mitarbeiterinnen des Stendaler Wahlbüros gegen die sogenannte Vierer-Regelung verstoßen. Sie besagt, dass je Bevollmächtigtem maximal vier Wahlunterlagen ausgegeben werden dürfen. Erstmals galt sie im Mai 2014 in Sachsen-Anhalt auch bei einer Kommunalwahl. Nur in der Stadt Stendal wurde nach Auskunft des Landeswahlleiters dagegen verstoßen.

Gegenüber den Ermittlern hatte Kühnel von seinem Recht Gebrauch gemacht und nicht ausgesagt. Die Staatsanwaltschaft hatte im November 2014 bei ihrer Durchsuchung der CDU-Kreisgeschäftsstelle und Kühnels Wohnräumen jedoch umfangreiche Materialien sichergestellt. Es war nicht zuletzt der auf Kühnels Mobilgerät sichergestellte Nachrichtenverkehr, der dem Stendaler CDU-Landtagsabgeordneten Hardy Peter Güssau im August das Amt des Landtagspräsidenten kostete. Vor Gericht wird Kühnel nicht mehr schweigen können.

Insgesamt 162 Zeugen hat die Staatsanwaltschaft aufgeboten. Ob sie alle gehört werden und wie lange sich der Prozess hinziehen könnte, ist derzeit offen. Landgerichts-Sprecher Michael Steenbuck: „Eine seriöse Abschätzung ist zur Zeit nicht möglich. Sie hängt auch ganz maßgeblich vom Verhalten der Beteiligten ab.“

Insbesondere von Holger Gebhardt. Ganz maßgeblich ist auch, ob und wie der Angeklagte sich am ersten Sitzungstag einlassen wird. „Räumt er die Vorwürfe ein, könnte die Beweisaufnahme deutlich abgespeckt werden“, erläutert Steenbuck.

Während der Ermittlungen hatte auch er sich in der Sache nicht geäußert. Wie es in Justizkreisen heißt, müsste ein Geständnis, das sich für ihn strafmildernd auswirken soll, nicht nur das Einräumen der Taten enthalten, sondern auch deren Hintergründe und Zusammenhänge.