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Wildunfälle Wenn Rehe vor Autos laufen

Wenn es auf den Straßen im Landkreis Stendal kracht, sind meistens Tiere im Spiel. Warum gerade jetzt besondere Vorsicht geboten ist.

Von Antonius Wollmann 11.07.2020, 05:00

Stendal l Plötzlich ging es ganz schnell. Zeit zum Reagieren blieb der Fahrerin eines Fords nicht mehr, als sie in den Abendstunden von Garlipp nach Bismark fuhr und plötzlich ein Reh auf die Straße lief. Der Zusammenstoß endete wie so oft tödlich für das Tier. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Szenario in ähnlicher Form auf den Straßen des Landkreises wiederholt ist hoch.

Bereits im vergangenen Jahr führten die Wildunfälle die Liste der Unfallursachen im Bereich des Polizeireviers Stendal an. Im Vergleich zu 2018 (1407) war ihre Zahl sogar um fast 18 Prozent gestiegen. 1662 zählte die Polizei 2019. Zur Einordnung: Im Jahr 2016 waren es laut Polizeirevier Stendal noch 1299. Woran es liegt, dass die Zahl kontinuierlich steigt, kann Polizeisprecherin Tanja Köhnke nicht eindeutig beantworten. Sie vermutet aber, dass es einen Zusammenhang zwischen der Unfallzahl und der wachsenden Population der Tiere geben könnte.

In den kommenden Wochen müssen Autofahrer besonders auf der Hut sein. Es beginne sozusagen die Hochphase der Wildwechsel, sagt Siegfried Holzinger, Presseverantwortlicher der Stendaler Jägerschaft. „Von Mitte Juli bis Mitte August sind die Rehböcke brunftig. Jagen sie einer Ricke hinterher, nehmen sie ihr Umfeld gar nicht mehr wahr. Dann schießen sie wie blind über die Straßen“, sagt Holzinger.

Deswegen mahnt der Jäger zur Vorsicht. Besonders in den Morgenstunden zwischen 5 und 7 Uhr sowie am Abend ab 21 Uhr. „Ich rate dringend dazu, die entsprechenden Warnschilder zu beachten. Es ist außerdem sinnvoll, den Fuß vom Gas zu nehmen“, sagt Holzinger. Welche Auswirkungen die Geschwindigkeit hat, verdeutlichen Zahlen des ADAC. Beträgt der Anhalteweg bei einem Tempo von 80 Kilometer pro Stunde 55,1 Meter, steigt der Wert bei 100 Stundenkilometeren auf 79,2 Meter.

Die neuralgischen Stellen kennt Siegfried Holzinger nur zu genau. Rehe wechselten zum Beispiel besonders häufig an Übergängen zwischen Wald und Feld von einer Seite der Straße auf die andere. Auch an abgeernteten Feldern sei erhöhte Aufmerksamkeit geboten. Dort hielten sich beispielsweise Wildschweine oft auf. Auf die Frage, auf welchen Straßen im Landkreis Stendal die Wahrscheinlichkeit eines Wildunfalls sehr hoch ist, fallen ihm drei ein: „Zwischen Stendal und Schernikau ist erfahrungsgemäß viel Wild unterwegs. Genauso zwischen Schinne und der Kreuzung nach Schönfeld. Die Ortsumgehung in Richtung Osterburg ist ebenfalls nicht zu unterschätzen.“

Lässt sich eine Kollision trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht verhindern, komme es darauf an, dass sie so glimpflich wie möglich abläuft, erklärt Holzinger. Auf keinen Fall solle man das Lenkrad verreißen. „Auszuweichen ist viel gefährlicher als der Zusammenstoß mit dem Tier“, merkt der Jäger an. Zu groß sei das Risiko, in der Folge gegen einen Baum zu prallen. Sobald man ein Tier auf der Straße erkennt, solle man außerdem das Fernlicht ausschalten.

Im Nachgang des Unfalls gilt es die Polizei und den zuständigen Jagdpächter zu informieren. Der Jäger kümmert sich um die Entsorgung des verendeten Tieres. Außerdem stellt er eine Wildschadensbescheinigung aus. „Auf keinen Fall darf der betroffene Autofahrer das verletzte Tier selbstständig entfernen“, warnt Holzinger. In diesem Falle droht sogar eine Anzeige wegen Wilderei.

Worauf sowohl der Presseverantwortliche der Jägerschaft als auch die Polizeisprecherin Wert legen: Die Hauptlast zur Vermeidung der Unfälle tragen die Autofahrer. Zwar ist im Oktober 2018 als Teil eines Pilotprojektes ein akustisches Warnsystem auf der B 107 zwischen Neuermark und Lübars eingerichtet worden.

Dabei gibt der Wildwarner für 15 Sekunden einen Piepton von sich, wenn ein Auto durch einen Lichtsensor fährt. In der Folge werden die Tiere davon abgehalten, die Straße zu queren.

Inwieweit es dazu beiträgt, die Unfallzahl auf dem Abschnitt zu senken, sei jedoch erst nach dem Ende der dreijährigen Testphase verlässlich zu sagen, teilt Andreas Tempelhof von der Pressestelle des zuständigen Landesverkehrsministeriums mit.

Eine vorsichtige Zwischenbilanz lässt sich aber bereits ziehen. Auf der Referenzstrecke ohne Warnsystem ereigneten sich seit Oktober 2018 17 Wildunfälle, während es auf der Teststrecke elf waren.