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Altenpflege Wo Familie groß geschrieben wird

Im Pflegeheim in Osterweddingen wird das Familiengefühl vorgelebt.

Von Mike Kahnert 28.12.2019, 00:01

Osterweddingen l Familie – ein Begriff, der besonders im Dezember an Bedeutung gewinnt. Während der Advents- und Weihnachtszeit rückt man mit seinen Liebsten näher zusammen. Doch was machen diejenigen, die keine Verwandten mehr haben, deren Kinder sich nur spärlich melden oder die zu alt geworden sind, um sich daran zu erinnern, das etwas fehlt? Im Pflegeheim „Rusches Hof“ in Osterweddingen kümmert sich eine andere Familie um sie.

„Mir gefällt es hier sehr gut“, betont Theresia Schröder. Die 80-Jährige lebt im Pflegeheim, seitdem vor zwei Jahren ihr Mann verstorben ist, mit dem sie 60 Jahre verheiratet war. Von den Mitarbeitern wird sie liebevoll „Resi“ genannt. Diese fahren mit ihr sogar regelmäßig zu Spielen des 1. FC Magdeburg, von dem „Resi“ ein großer Fan ist und zwar „von Anfang an“, wie sie sagt.

„Wir sind mit Leib und Seele Altenpfleger“, sagt Jens Fröhlich. Der Pflegedienstleiter von „Rusches Hof“ arbeitet seit zwölf Jahren im Pflegeheim in Osterweddingen. „Der Bewohner steht im Vordergrund und das familiäre Leben“, erklärt der 34-Jährige. Mit 64 Mitarbeitern – inklusive Hauswirtschaft und Küchenkräften – gibt es mehr Personal als Bewohner. Insgesamt 60 Plätze für betreutes Wohnen verteilen sich auf drei Wohnbereiche in „Rusches Hof“.

Die hohe Anzahl an Mitarbeitern entsteht durch eine Besonderheit des Pflegeheims. Küche und Hauswirtschaft befinden sich noch im eigenen Haus und werden nicht von externen Unternehmen übernommen. „Das eigene Personal ist dadurch flexibler für persönliche Bedürfnisse“, sagt Fröhlich.

Und das sei nötig, denn besonders im Dezember und rund um Weihnachten benötigen die Bewohner spezielle Zuwendung. „Viele haben ihre Partner verloren und sind in der Weihnachtszeit in sich gekehrt“, erklärt Gudrun Fruth, Leiterin des begleitenden Dienstes im Pflegeheim. Besonders, wenn die übrigen Angehörigen nicht da sind, sei es schwierig für manche Bewohner.

Damit niemand der Melancholie verfällt, gibt es im Dezember ein volles Programm im Pflegeheim. Kinder aus Grundschule und aus dem Kindergarten kommen vorbei und singen zusammen mit den Bewohnern. Ein Weihnachtsmarkt findet am Freitag vor dem ersten Advent statt und auch der Nikolaus schaut vorbei. Das Haus wird gemeinsam geschmückt und an Heiligabend kommt der Weihnachtsmann.

Auf eine gemeinsame Weihnachtsfeier wird allerdings verzichtet – aus logistischen Gründen. Bei 60 Bewohnern, von denen zusätzlich auch die Angehörigen vorbeischauen, gebe es schlicht nicht genug Platz. „Wir haben ausprobiert, es auf den Wohnbereichen zu machen“, sagt Gudrun Fruth. Und mit Erfolg: jeder der drei Wohnbereiche hat seine eigene Weihnachtsfeier und somit auch genug Raum für die Angehörigen der Bewohner.

Also alles Perfekt im Pflegeheim? Nicht ganz, wenn es nach Theresia Schröder geht. „Bloß das Essen war ein wenig kalt“, erwähnt sie den einzigen Kritikpunkt an der letzten Weihnachtsfeier. Der Kartoffelsalat wurde zu spät aus dem Kühlschrank geholt. Nächstes Jahr soll das nicht passieren. Da möchte sich die 80-Jährige mit anderen Bewohnern nämlich um den Kartoffelsalat kümmern und ihn selber machen.

Was stattdessen Jens Fröhlich beunruhigt ist die Zukunft des Pflegeberufes. „Wir haben mit unseren Lehrlingen noch Glück“, sagt der Pflegedienstleiter. Er glaube allerdings, dass die Gesellschaft langsam an Empathie verliere und damit auch die Überzeugung Pflegekraft zu sein zurückgehe. Er selbst kam mit dem Beruf in der neunten Klasse in Kontakt, als er ein Schülerpraktikum absolvieren musste. „Die ersten drei Tage habe ich heulend auf der Treppe gesessen“, erinnert sich Fröhlich. Die Pflege von älteren Menschen habe ihn damals zunächst überfordert. Doch dann kam der „Aha-Effekt“ und er begann sich in dem Beruf wohlzufühlen. Direkt nach der zehnten Klasse begann er die Ausbildung zum Krankenpflegehelfer.

Noch vor sechs Jahren sei es Jens Fröhlich zufolge leichter gewesen, gute Lehrlinge zu finden. Er vermutet, dass sich das Leben Zuhause in modernen Familien verändert habe. Grundtugenden wie Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit verschwinden langsam.

Gudrun Fruth stimmt ihm zu und schlägt vor, dass Solidarität wieder öfters vorgelebt werden müsse. „Wir müssen den jungen Leuten bewusst machen, dass sie auch mal alt werden. Das Mitgefühl bleibt auf der Strecke“, sagt die 57-Jährige.

Im Pflegeheim „Rusches Hof“ in Osterweddingen wird Familie vorgelebt. Die Mitarbeiter sorgen dafür, dass Bewohner wie Theresia Schröder dort ein Zuhause finden und täglich lächeln können, statt der Einsamkeit zu verfallen. Besonders während der Jahreszeit, in der niemand ohne seine Familie sein möchte.