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Wettbewerb Bördefilm geht auf Preisjagd

Eine Idee, eine Handvoll Leute und viel Hingabe. Der junge Filmemacher Robert Hirschmann aus Langenweddingen hat einen Kurzfilm gedreht.

Von Ronny Schoof 22.05.2020, 01:01

Ummendorf/Langenweddingen l „Ich finde es wichtig, dass Filme Menschen dazu bringen, Dinge zu sehen, die sie vergessen haben.“ Ein Zitat des für seine gesellschaftskritischen Werke bekannten US-Regisseurs Spike Lee. Robert Hirschmann ist von Hollywood-Ruhm noch weit entfernt, doch die Einstellung zur Filmkunst ist eine ganz ähnliche, vielleicht dieselbe wie bei den berühmten Branchenvertretern. Hirschmann ist 20 Lenze jung, stammt aus Langenweddingen und schickt sich derzeit in Leipzig an, die Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton zu absolvieren – ein Handwerk, das zu seiner Leidenschaft passt: Filme machen. Nicht einfach irgendwas, sondern mit Stil und Anspruch und hintergründig. Exemplarischer Ausdruck dafür: „Gestrandet“, der jüngste Streifen aus der sozusagen heimischen Filmschmiede des Robert Hirschmann.

Im Volksstimme-Gespräch über den im Vorjahr abgedrehten Kurzfilm schimmert beim Nachwuchs-Regisseur ein wenig Spike Lee durch: „Er handelt von einem Zug voller jüdischer Austauschhäftlinge, der nach einer mehrtägigen Odyssee im April 1945 bei Farsleben in der Nähe von Wolmirstedt zum Stehen kommt, quasi im Nirgendwo strandet. Viele der rund 2500 Insassen sind bereits ums Leben gekommen, sie werden schließlich von amerikanischen Streitkräften befreit. Mit diesem Filmprojekt und seinem gesellschaftskritischen Hintergrund wollen wir Aufmerksamkeit für diese Geschichte, für das Schicksal dieser Menschen gewinnen, wollen gegen das Vergessen arbeiten, erinnern an das, was passiert ist. Mit filmischer Umsetzung erreicht man die Leute ganz anders, und es macht sie vielleicht ja neugierig darauf, auch in ihrer Region nach Geschichten zu suchen, die untergegangen sind.“

Für ihn selbst war es der Tagebuchausschnitt eines der Häftlinge, der ihm die Grundlage für das Drehbuch lieferte. Das von Hirschmann erwähnte Filmprojekt nämlich umfasst noch weit mehr; „Gestrandet“ ist darin lediglich eine Eröffnungssequenz. Der Regisseur erklärt: „Im Rahmen meines Freiwilligen Sozialen Jahres beim Offenen Kanal Magdeburg habe ich den Auftrag bekommen, eine Doku zu drehen und dafür eine Projektgruppe einer Wolmirstedter Schule ausgesucht, die sich intensiv mit dem Farsleber Häftlingszug beschäftigt hat. Daraus entwickelte sich die Idee, für die Doku ein Intro zu erstellen, das ebenjene Geschichte erzählt.“

„Gestrandet“ ist nun das Ergebnis dieses Gedankens, das als eigenständiger Kurzfilm für mehrere unabhängige Filmfestivals und Preisverleihungen angemeldet ist. Beim in Italien laufenden internationalen „Prisma Award“ hat es Hirschmanns Werk ins Monatsfinale der besten sechs Nominierten geschafft; am 22. Mai soll der Gewinner verkündet werden.

Stilistisch, das könnte ein großer Pluspunkt sein, hebt sich Hirschmann von der großen Masse ab: „Gestrandet“ (im Wettbewerb auf Englisch angemeldet als „Stranded“) ist ein Silhouettenfilm. Er macht sich die märchenerzählerisch anmutende Optik des Scherenschnitts zu eigen – mit dem vorstechenden Unterschied, dass nicht Papierschablonen vor der Kamera bewegt werden, sondern echte Darsteller in schwarzer Füllung agieren. Diese Technik hat Robert Hirschmann bereits bei seinem viel beachteten Kurzfilm „Der letzte Brief“ verwendet, mit dem er 2017 den Jugend-Video-Preis Sachsen-Anhalts gewann.

„Silhouette“, meint Hirschmann, „ist gerade eine extreme Nische, die kaum bedient wird. Dabei ist es eine ganz interessante Sache, die viele Möglichkeiten bietet.“ Allerdings erfordere die Technik ein hohes Maß an Vorplanung und Konzeption. Die mit Scherenschnitt-Optik verbundene Reduktion auf die 2D-Seitenansicht sei zudem „eine gewisse Herausforderung“, weil man auf die freie Bewegung der Kamera sowie auf die eigentlich fürs Schauspiel wesentliche Ausdrucksform der Mimik verzichten müsse: „Man sieht ja die Gesichter nicht.“

Handlung und vor allem Emotionalität müssen also auf anderen Kanälen transportiert werden. Hier kommt Hirschmanns Kompagnon Calvin Luc Freier mit seinem Talent ins Spiel. Der Ummendorfer ist teils Hirschmanns rechte Hand, vor allem jedoch die exklusive akustische Instanz in dessen Filmen. „Die Musik ist natürlich ein wichtiger Faktor“, sagt Regisseur Robert. Zu sagen, dass Schulkumpel Calvin, der sich ebenfalls in der Bild- und Tongestaltung ausbilden lässt, aber nur für die Vertonung zuständig ist, würde seinem Beitrag wohl nicht gerecht werden: Freier komponiert und spielt die musikalische Untermalung selbst.

Beider Anspruch an das filmische Schaffen geht soweit, dass sie auch für Geräusche und Soundeffekte nicht auf Material gängiger Bibliotheken zurückgreifen, sondern jeden noch so kleinen Akustikschnipsel in Eigenregie produzieren. „Das ist alles schon sehr beachtlich“, befindet Calvins Vater, Alf Salewski. „Betrachtet man dann noch die gesamte Gruppe, die ja nun schon mehrere solcher Filmprojekte realisiert hat, kann man nur den Hut ziehen. Jeder einzelne der Jungs hat eine Begabung, die er einbringen kann. Und ich glaube, darin liegt für sie eine echte Chance, das auch über den Freizeitspaß hinaus nutzen, sprich als Dienstleistung anbieten zu können.“ Salewski hilft ihnen und fördert sie dabei nach Kräften. Zuhause in Ummendorf nimmt das Ton- und Schnittstudio immer professionellere Konturen an.

Was Alf Salewski der Filmcrew um Robert Hirschmann und Sohn Calvin außerdem zugute hält: „Schön, dass es tatsächlich noch Jugendliche gibt, die sich mit solch ernsthaften Themen wie in ‚Der letzte Brief‘ oder ‚Gestrandet‘ befassen und dass sie sich wirklich dahinterklemmen.“

Die Mühen lassen sich erahnen, wenn man Robert Hirschmann nach der Entstehungsdauer fragt: „Gedreht haben wir Ende Juni für drei Tage im Studio des Offenen Kanals in Magdeburg. Mein Dank nochmal an alle Beteiligten, insbesondere natürlich an den Freundeskreis, der das wieder gut gewuppt hat. Die meiste Arbeit hat dann die Postproduktion, also Montage, Schnitt und Vertonung in Anspruch genommen. Dabei gab es natürlich Kunstpausen, und das musste in der spärlich bemessenen Freizeit geschehen. Es hat nachher doch mehrere Stunden pro Tag über einige Wochen hinweg gekostet, die wir oft zu zweit daran gesessen haben.“ Dazu passend ein weiteres Zitat aus der Welt der Filmemacher: Kino ist eine Kunstform, das Resultat der Hingabe mehrerer Menschen.

Im Frühjahr war die zwölfminütige Endfassung von „Gestrandet“ fertig, die offizielle Premiere war für März im Studiokino Magdeburg geplant. Corona funkte dazwischen. „Aber das holen wir bald nach“, ist sich das kreative Duo einig.