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Segelfliegen Zu jung zum Autofahren? Fliegen lernen!

Auf dem Flugplatz bei Ballenstedt landen und starten nicht nur Cessnas und die AN-2. Jugendliche lernen dort das Fliegen.

Von Jörn Wegner 11.08.2015, 22:18

Ballenstedt l „Zuerst muss der Flugplatz aufgebaut werden“, sagt Jens Rößler. Der Flugplatz – das ist auf dem Verkehrslandeplatz Ballenstedt-Quedlinburg ein alter schwarz-gelb karierter Barkas-Bus, ein Partyzelt und ein rot-weiß gestreifter Windsack.

Letzterer ist besonders wichtig, denn Jens Rößler betreut Jugendliche, die auf dem Flugplatz bei Ballenstedt das Segelfliegen lernen bzw. perfektionieren wollen. Gerade haben sie ihr Sommercamp beendet: Zelten auf dem Flugplatz und von morgens bis abends durch die Luft segeln.

Die meisten der Teilnehmer sind zu jung, um bereits Auto fahren zu dürfen. Für das Segelflugzeug reicht es aber. Einer von ihnen ist Nils Ritter, 16 Jahre alt und aus Eisleben. Segelfliegen sei im Vergleich zum Motorfliegen sehr viel anspruchsvoller, sagt Nils. Ein Gaspedal, um den Flug zu regulieren gibt es nicht. Das Einzige, das zählt, ist Wind und Thermik. „Das Gefühl, allein oben zu sein“, sei großartig, sagt Nils.

Bis dahin ist es aber ein weiter Weg, erklärt Jens Rößler. Zwei Jahre könne es dauern, bis man ein Flugzeug allein steuern kann. Dafür könnten Jugendliche auch schon mit 14 mit dem Fliegen anfangen. „Bei geistiger und körperlicher Reife auch schon mit 13“, sagt Rößler.

Auf dem Ballenstedter Flugplatz hat der Ostwind den sonst vorherrschenden Westwind abgelöst. Das bedeutet für die Jugendlichen, dass die Flugzeuge und Gerätschaften auf die Westseite des Flugfeldes – ein huckeliger Acker – geschleppt werden müssen. Starts müssen grundsätzlich gegen den Wind erfolgen.

„Man lernt hier viel über Natur und Technik“, sagt Jens Rößler. Ständig müssen Natur und Wetter beobachtet werden, denn ein Segelflugzeug benötigt warme Steigwinde, um starten zu können. Dann schraubt es sich mit kreisender Bewegung immer weiter in die Höhe, um von dort in einem möglichst lang gestreckten Sinkflug zu fliegen. „Dreidimensional im Raum bewegen“, nennt Rößler das Segelfliegen.

Wer beim Aeroclub mitmachen möchte, ist herzlich eingeladen. „In der Saison sind wir am Wochenende eigentlich immer vor Ort“, sagt Jens Rößler.

Ein Hobby nur für Kinder reicher Eltern ist das Segelfliegen auch nicht. Jugendliche zahlen 240 Euro im Jahr, hinzu kommt die Startgebühr von 2,50 Euro und die Fluggebühr von 10 Cent, damit der Flugplatz seinen Betrieb finanzieren kann. Kein allzu hoher Preis, bedenkt man, dass sich Preise von Segelflugzeugen zwischen Mittelklassewagen und Einfamilienhaus bewegen.

Das Segelfliegen ist ein Erlebnis, das kaum mit dem Fliegen in einer großen Passagiermaschine vergleichbar ist. Das Cockpit ist eng, die Ballenstedter Flugzeuge bieten Platz für eine oder zwei Personen. Drückend heiß ist es unter der geschlossenen Plexiglaskuppel. Das ändert sich schlagartig, sobald das Flugzeug von der Seilwinde angezogen wird. In Sekunden beschleunigt es auf Startgeschwindigkeit, der Wind pfeift augenblicklich durch die Lüftungsöffnungen. Mit einem Knall löst sich das Stahlseil, mit dem das Flugzeug mit der Seilwinde verbunden ist. Und dann geht es in einem erstaunlich ruhigen Flug immer weiter nach oben.

Passiert ist noch nichts, sagt Jens Rößler. „Wir machen unsere Flugzeuge gern am Boden kaputt.“ Für den Fall der Fälle ist aber jeder Insasse mit einem Fallschirm gesichert, der sich beim Notausstieg automatisch öffnet. „Dann kommt man mit gebrochenen Beinen davon“, erklärt Rößler.

Geübte Segelflieger können durchaus lange Strecken zurücklegen, sagt Rößler. Er selbst lebt mittlerweile in Franken. Wollte er von dort ins Harzvorland fliegen, müsste er die Strecke gut planen. Selbst Mittelgebirge beeinflussen die Wetterverhältnisse immens. Hinzu kommen gesperrte Zonen rund um größere Flughäfen. Den Flug selbst können sogar kleine Veränderung am Boden beeinflussen. Jetzt in der Erntezeit sorgen zum Beispiel Mähdrescher für eine Veränderung der Windverhältnisse. Auch leicht erhöhte Straßen können Einfluss haben, dann steigt die Luft an der Kante zwischen Fahrbahn und Seitenstreifen auf. Im Flugzeug sei das spürbar, sagt Rößler.

Fliegen könne man genauso wie das Fahrradfahren erlernen, sagt Rößler. „Fliegen ist ein Mannschaftssport. Bis ein Flugzeug in der Luft ist, sind viele beteiligt.“ Auch wenn am Ende nur ein oder zwei Personen in die Luft gehen, am Boden muss die gesamte Mannschaft den Flug vorbereiten, das Wetter beobachten und das Flugzeug warten.