1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wernigerode
  6. >
  7. Allen Widerständen zum Trotz

Ehrung Allen Widerständen zum Trotz

Andreas Heinrich wird in Berlin mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Von Ivonne Sielaff 01.10.2015, 01:01

Wernigerode l Post für Andreas Heinrich. Vor einigen Tagen flatterte ein Brief ins Haus von Wernigerodes Sozialdezernenten und stellvertretendem Stadtchef. Absender: das Bundespräsidialamt. „Ich hatte keine Ahnung, was darin sein könnte.“ Um so größer die Überraschung: Im Umschlag befand sich eine Einladung nach Berlin.

Bundespräsident Joachim Gauck wird ihm am heutigen Donnerstag „für herausragendes Engagement“ das Bundesverdienstkreuz am Bande verleihen. Anlass ist der 25. Jahrestag der Deutschen Einheit.

„Für meine Familie ist das ein ganz besonderes Ereignis und für mich eine große Ehre“, sagt der 62-Jährige. Diese Auszeichnung gebühre nicht ihm allein, so Heinrich bescheiden. „Sie ist auch für die Menschen um mich herum, die mich in den vergangenen Jahren begleitet und motiviert haben.“

Die Jahre 1989/90 sind ihm als „Zeit mit unheimlich hohem Energiespiegel, als Zeit der Daueranspannung“ im Gedächtnis geblieben. „Die politische Wende und die daraus resultierende Einheit sehe ich nach wie vor als unglaublich schöne Ereignisse. Damit hatten wir damals in der DDR nicht gerechnet.“

In einem christlichen Elternhaus aufgewachsen, wurde dem gebürtigen Wittenberger schon früh vermittelt, den eigenen Weg zu gehen und nicht den des geringsten Widerstandes. Das habe er immer beherzigt – auch wenn ihm dadurch Steine in den Weg gelegt wurden. Wie nach dem Abitur: Weil er den Wehrdienst an der Waffe verweigerte, durfte er nicht studieren. Stattdessen wurde er Meliorationstechniker. Einige Jahre später orientierte er sich beruflich neu und fing bei der Kreishygieneinspektion an. „Dort wurde mir die Lehrlingsausbildung übertragen, eine Arbeit, die mir Spaß bereitet hat.“ Bis bekannt wurde, dass er seinen Wehrdienst verweigert hatte. „Das war zu anstößig, und mir wurde die Lehrlingsausbildung weggenommen.“

Bis zur Wende arbeitete Heinrich in der Kunstboutique von Helmuth Sonnenberg am Wernigeröder Nico, kam mit Künstlern in Kontakt, bereitete Ausstellungen vor. Parallel engagierte er sich in der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde, in der Friedens- und Umweltgruppe der Johannisgemeinde sowie als Deligierter bei der ökumenischen Versammlung der DDR. Außerdem betreute er Wehrdienstverweigerer und Bausoldaten. Als im Herbst 1989 das Neue Forum in Wernigerode aufgebaut wurde, war Andreas Heinrich mit dabei. Gern erinnert er sich an den 11. Oktober, den Gründungstag des Neuen Forums. Hunderte Sympathisanten hatten sich vor dem Altenheim „Harzfriede“ versammelt. Weil der Saal viel zu klein war, zogen die Menschen durch die Stadt bis zur Johanniskirche. In den Seitenstraßen standen die Mannschaftswagen der Polizei und Staatssicherheit. „Richtig Angst hatte ich damals nicht“, blickt Heinrich zurück. Wir waren besonnen, wollten nicht provozieren. Wir wussten, wir waren nicht allein, und wir wollten nicht mehr ablassen.“

Auf die politische Wende folgte die erste freie Kommunalwahl in Wernigerode. Heinrich wurde in den Stadtrat gewählt. „Zu meiner Überraschung wurde ich angesprochen, ob ich nicht als hauptamtlicher Beigeordneter ins Rathaus ziehen wolle.“ Eine große Mehrheit habe hinter ihm gestanden. „Das war eine einschneidende Erfahrung für mich.“ Der 1. Juni 1990 war sein erster Arbeitstag in der Stadtverwaltung. Die Schreibtische und Büros haben im Laufe der Jahre gewechselt, ebenso seine Aufgaben. Die Arbeit bereitet ihm noch heute viel Freude.

25 Jahre Einheit bedeuten ihm vor allem persönliche Unabhängigkeit. „Für meine Kinder war es eine wichtige Veränderung“, sagt der vierfache Vater. „Durch den Wandel haben sie viele Perspektiven gewonnen, die wir als Jugendliche nicht hatten.“ Noch heute mache ihn betroffen, wie junge Leute damals in ihren Zukunftschancen beschränkt wurden – wie ihr Potenzial vergeudet wurde. „Aber ich bin nicht mehr gram, kann heute gut schlafen.“

Ob er aufgeregt ist vor Besuch beim Bundespräsidenten? „Nein. Es ist eine schöne Sache, der ich fröhlich entgegen gehe.“ Er werde neben weiteren 31 Frauen und Männern aus ganz Deutschland geehrt. „Das sind alles unglaublich engagierte Leute. Für mich ist es etwas Besonderes, mit diesen Menschen zusammenzustehen.“