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Schreiben 634 Jahre Literaturbegeisterung

Die Schreibwerkstatt für Senioren in Wernigerode bietet Literaturbegeisterten eine Heimstatt. Einmal im Monat treffen sich acht Autorinnen.

Von Katrin Schröder 15.01.2016, 00:01

Wernigerode l Diese acht Damen haben immer etwas zu lachen. „Es wird viel gekichert und gegackert, wenn wir zusammensitzen“, sagt Christine Schulz. Seit zehn Jahren leitet die Wernigeröderin die Schreibwerkstatt für Senioren – genauer gesagt: „2006, um 15 Uhr, am 10. Januar haben wir uns das erste Mal hier getroffen“, berichtete sie bei der Feierstunde im Senioren- und Familienhaus Steingrube 8.

Die Idee zur Schreibwerkstatt stammt von Carola Stockmann, die das Haus leitet. Das Angebot fand auf Anhieb Anklang, berichtete Christine Schulz. „Die Interessen waren aber unterschiedlich.“ Manche brachten fertige Geschichten oder ganze Bücher mit. Sinn der Schreibwerkstatt sei aber eher, gemeinsam an Texten zu arbeiten, so Christine Schulz.

Zu Beginn standen Gedichte und Geschichten im Vordergrund, die zum Beispiel von Tieren und Abenteuern handeln. Eine Veröffentlichung ist bereits aus der Werkstatt hervorgegangen: das Kinderbuch „Der Hase Heini“ von Ilse Eilers, das 2008 erschienen ist.

Später wagten sich die Autorinnen an die eigenen Lebensgeschichten, in denen Krieg, Flucht und Neubeginn eine Rolle spielen. Entstanden sind eindrucksvolle Schilderungen für nachfolgende Generationen. „Ich habe viel gelernt, was damals passiert ist und was Menschen alles ausgehalten haben“, sagte Christine Schulz.

Auch Schicksalsschläge und Trauerfälle werden schreibend bewältigt. Die Werkstattmitglieder geben sich außerdem gegenseitig Halt in schweren Zeiten. „Die Gruppe ist eine echte Gemeinschaft. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass jeder jedem hilft“, so die Leiterin.

Professionelle Unterstützung erhalten die Autorinnen zusätzlich von der Schriftstellerin Dorothea Iser. Die gebürtige Elbingeröderin, die in Niegripp bei Burg lebt, hält einmal pro Jahr einen Workshop in Wernigerode ab. „Das ist für uns jedesmal ein Höhepunkt“, sagte Christine Schulz. „Es ist ein ganz besonderes Glück, hier zu sein und diese Gruppe zu haben“, entgegnete die Literatin.

Viele Frauen sind von Anfang an dabei und haben in dieser Zeit zahlreiche Texte zu Papier gebracht. „Vor ihnen sitzen 634 Jahre, die noch ganz begeistert sind vom Schreiben, denen das Schreiben viel gibt“, betonte Christine Schulze.

Dass sich das auszahlt, bewiesen die Texte, die die Autorinnen den Geburtstagsgästen vorlasen. Irmgard Falk erzählte die Geschichte von „Ganter Heinrich“, den sie in ihrer Jugend in der Altmark hütete. Nachdenkliche Töne schlug Ilse Veckenstedt an. „Jeder Tag ist ein Geschenk. Unser Leben ist nur geborgt. Eines Tages geben wir es zurück“, heißt es in dem Gedicht „Lebenswege“.

Gedanken über den Straßenverkehr hat Vera Freitag notiert: „Wer kennt die Stadt, die schon 13 Kreisel hat? Nun überlege ich als Wernigeröderin: Wo könnte noch ein Kreisel hin?“ Viel Gelächter erntete Gerda Stechhahn mit Anekdoten ihrer Enkel, „inzwischen junge Männer um die 30“. Als Kind aber bescherten sie Gerda Stechhahn das tollste Kompliment, das eine Großmutter bekommen kann: „So schön wie du fegt niemand die Straße.“