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Adelsgeschichte 880 Seiten „Büchlein“ vorgestellt

Steffen Wendlik ist begeistert von Geschichte. Besonders hat es ihm Botho angetan, ein Graf mit dem Ruf eines Versagers.

Von Sandra Reulecke 27.11.2016, 06:11

Wernigerode/Ilsenburg l Es gibt Menschen, denen wurden dutzende Bücher gewidmet. Ihr Leben ist bis ins Detail bekannt und beleuchtet. Nicht so bei Graf Botho zu Stolberg-Wernigerode (1805-1881). Dieser Adlige ist fast in Vergessenheit geraten. Und das Wenige, was man über ihn lesen kann, ist nicht schmeichelhaft.

Zeit, damit aufzuräumen – so sieht das zumindest Steffen Wendlik. In seinem „Büchlein“ – wie er seine 880 Seiten umfassende Doktorarbeit nennt – befasst er sich als erster mit dem Leben eines vermeintlichen Verlierers. „Geschichte als Lebensmaxime. Graf Botho zu Stolberg-Wernigerode (1805-1881). Konservatives und Geisteswissenschaftliches Engagement eines nachgeborenen Adligen im Übergang zur Moderne“ lautet der offizielle Titel.

Die Biografie des Grafen, der in Wernigerode und Ilsenburg lebte, interessiert – das zeigt die Besucherzahl während der Buchvorstellung im Kapitelsaal des Klosters Ilsenburg. Die Kapazitäten in dem Raum, der sich passender Weise im sogenannten Botho-Bau befindet, reichen kaum aus. „Das hätte Botho gefallen. So viel Interesse an seiner Person hätte er sich nicht träumen lassen“, sagt Prof. Dr. Mathias Tullner.

Der Historiker gehört zu den Professoren der Otto-von Guerike-Universität Magdeburg, bei denen Steffen Wendlik promoviert hat.

Tullner ist sich sicher, dass Graf Botho regelrecht verlegen gewesen wäre, wenn er vor so vielen Leuten und seinen Nachfahren über seine Familiengeschichte hätte reden sollen. „Er hatte schon genug Schwierigkeiten mit seiner Familie zu Lebzeiten“, ergänzt Mathias Tullner lachend.

Doch die sind ausgeräumt. Zumindest für Alexander Graf zu Stolberg-Wernigerode. Der Ballenstedter ist ein Nachkomme des in Vergessenheit geratenen Adligen. „Botho hatte einen Bruder, Konstantin. Und der ist mein dreifacher Großvater“, erläutert er.

Sein Vorfahre sei alles andere als ein Versager gewesen. „Er hat einige Zeit die Regierungsgeschäfte geleitet und sich viele Jahre ausschließlich mit dem beschäftigt, wofür er Interesse hatte. Es gibt schlechtere Möglichkeiten, sein Leben zu verbringen“, fasst es Alexander Graf zu Stolberg-Wernigerode schmunzelnd zusammen.

Das sieht der Autor der biografischen Dokumentation ein wenig differenzierter. „Botho war ein Verlierer, aber ein sehr produktiver“, sagt Steffen Wendlik. Sechs Jahre lang hat sich der 47-Jährige mit dem Grafen beschäftigt – nebenberuflich. Der Schmatzfelder ist als Geschichtslehrer am Fallstein-Gymnasium Osterwieck tätig und als Musiker aktiv. Warum ist er dann doch so tief in die Geschichte des Adelsgeschlechts eingetaucht? Er habe mehr von dem Mann wissen wollen, der bis dato bestenfalls in Randbemerkungen aufgetaucht war, sagt Wendlik.

Immerhin ist Botho der Onkel von Fürst Otto gewesen. Und dieser war Vizekanzler unter Bismarck. Da Otto noch minderjährig war, als die Erbfolge auf ihn fiel, übernahm Botho für ihn die Regierungsgeschäfte. Wenig erfolgreich, alle seine Initiativen sind gescheitert. Der Graf hatte Schwierigkeiten mit den politischen Umbrüchen seiner Zeit, erläutert Wendlik. „Er wurde in eine Zeit hineingeboren, in der die Standesschranken aufweichten. Die Adligen des 19. Jahrhunderts verloren mehr und mehr ihrer Macht.“ Eine militärische Karriere kam für Botho ebenfalls nicht infrage – die scheiterte an seiner physischen Verfassung.

Dafür ist Botho auf anderem Gebiet erfolgreich gewesen. Seit seiner Jugend setzte er sich mit der Architektur mittelalterlicher Burgen und Schlösser auseinander, verfasste waffenkundliche Aufsätze, tauschte sich rege mit Wissenschaftlern aus, recherchierte zu historischen Themen, setzte sich mit Mythologie auseinander und war Gründungsvorsitzender des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde. „Geschichte war seine Passion“, sagt Wendlik. Bei seinen umfangreichen Sammlungen und Aufzeichnungen sei Botho durchaus quellenkritisch gewesen. „Er war ein Archivar der Geschichte“, sagt Mathias Tullner. „Und Steffen Wendlik führt Bothos Tradition fort.“