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Benefizlauf Harzer Sportler laufen für guten Zweck

Sie laufen für die Rückenmarksforschung: Mehr als 130 Frauen und Männer aus dem Harz starten am 3. Mai beim „Wings for Life World Run".

Von Julia Bruns 02.05.2020, 01:01

Rübeland l Kerstin Stieglitz kann es. Und Hendrik Werner auch. Genau wie Christian Krug. Gabor Schneider dagegen kann es nicht mehr. Er kann seit zehn Jahren nicht mehr laufen. Nach einem Flachköpper in die Ostsee ist der 36-Jährige querschnittgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Doch was seine Freunde können, kommt ihm und anderen Betroffenen am Sonntag zugute.

Sie laufen für die, die nicht oder nicht mehr laufen können. Beim „Wings for Life World Run“ verleihen sie – frei übersetzt – dem „Leben durch weltweites Laufen Flügel“. Mit ihrem Startgeld unterstützen sie und tausende andere Teilnehmer zu 100 Prozent die weltweite Rückenmarksforschung und helfen, Querschnittlähmung zu heilen.

Diesmal ist alles ein bisschen anders. „Normalerweise war mein Ziel für 2020, mit 50 Leuten, die Bock auf den Lauf haben, einen Bus zu mieten und gemeinsam nach München zum Lauf zu fahren“, sagt Gabor Schneider. „Doch dann kam Corona.“ Die 50 Plätze im Münchner Hofbräuhaus, die er fürs Team reserviert hatte, hat er abgesagt.

Rückblick: Gemeinsam mit Freunden hat der Rübeländer 2018 das Team OWOC gegründet: Das steht für „One Wald One Crew“. Sein Team, die OWOC Warriors, geht seit 2018 für ihn und 100 000 andere, die sein Schicksal weltweit teilen, beim „Wings for Life World Run“ an den Start.

Die Initialzündung gab Hendrik Werner, der schon seit 2017 für Gabor teilnimmt. „Warum ich das mache?“, fragt er. „Ich denke, die Welt ist eh schon egoistisch und ausgrenzend genug. Das stört mich tagtäglich und ich wollte wohl einfach ein Zeichen setzen, dass nicht alle Menschen so sind.“

Von einem Bekannten habe er damals von dem Lauf erfahren. „Ich hatte gerade erst mit Laufen angefangen und ich habe dabei an Gabor gedacht. Ich hatte seit Gabors Unfall immer ein Problem damit, dass ich nicht wusste, wie ich damit umgehen soll. Der Lauf war für mich die Möglichkeit, das zu zeigen, was ich nicht ausdrücken konnte“, sagt er. Da seien schließlich nicht nur Gabor, sondern noch viele andere mit diesem oder einem anderen Schicksal, die leider in der Gesellschaft an den Rand gestellt werden. Hendrik Werner: „Hier konnte ich zeigen, ich stelle euch nicht an den Rand, im Gegenteil. Und spätestens in diesem Jahr haben wir klar, laut und deutlich gezeigt, dass ich damit nicht allein bin und das macht mich wahnsinnig hoffnungsvoll und glücklich.“

In diesem Jahr gehen mehr als 130 Läufer für Gabors OWOC Warriors an den Start. „Es hat sich sogar jemand aus China in meinem Team angemeldet“, erzählt Gabor Schneider. „Ich bin total überwältigt. Das bringt 7700 Euro für die Forschung. Ich bin stolz, dass wir nicht nur mir damit helfen, sondern sehr vielen anderen Leuten, die im Rollstuhl sitzen.“ Unter den Läufern sind viele Freunde, die er schon seit unzähligen Jahren kennt, auch aus seiner Zeit als Fußgänger, als er noch in der „härtesten Hardcore-Band im Harz“ spielte und keine Party ausließ.

Während der Corona-Krise wird der Lauf ein bisschen anders ausgetragen – jeder Sportler läuft für sich. Alle Sportler starten gemeinsam mit Teilnehmern weltweit zur selben Zeit – ob in Sydney, New York oder Berlin, ob dunkel oder hell, Tag oder Nacht. Es ist egal, ob man Spitzensportler, Hobbyläufer oder blutiger Anfänger ist: Eine Ziellinie gibt es nicht.

Stattdessen rollt 30 Minuten nach dem Start ein virtuelles „Catcher Car“ los und überholt die Läufer und Rollstuhlfahrer nach und nach. Das Startgeld wird komplett an die gemeinnützige „Wings for Life“-Stiftung gespendet, ein Hauptsponsor übernimmt die Veranstaltungskosten. Die Platzierungen werden nach der bis zu diesem Zeitpunkt zurückgelegten Strecke vergeben.

Gabor Schneider macht der Lauf gerade jetzt Mut. Seine Situation wird durch das Coronavirus verschärft. Denn er organisiert seine Pflege in Eigenregie. Mindestens vier, besser fünf Pflegekräfte muss er beschäftigen, denn diese ersetzen seine Arme und Beine, wie er erklärt.

Senioren, Menschen in den Krankenhäusern und nun auch noch das Coronavirus: Pflegekräfte sind derzeit gefragt wie nie. Gabor Schneider sucht seit Monaten nach einer Pflegekraft, die ihn in seinem Alltag unterstützt. „Ich habe einen höheren Stundenlohn genehmigt bekommen, es gibt Weihnachtsgeld. Ich habe gehofft, dass man mir die Bude einrennt“, berichtet er. Er schlägt auch ungewöhnliche Wege ein: Nachdem Stellenanzeigen nichts brachten, startete der 36-Jährige einen Videoaufruf, der tausendfach auf Facebook angeklickt wurde. „130 000 Mal wurde der erste Clip gesehen“, berichtet er. Anfangs sei er noch optimistisch gewesen. „Es haben sich viele gemeldet, es waren einige hier – aber es hat leider nicht gepasst.“ Ein zweiter Aufruf wurde abermals mehr als 100 000 Mal angeschaut.

Kann er niemanden finden und seine Pflege nach wie vor selbst organisieren, droht ihm ein Platz im Heim. Und das wäre für den unternehmungslustigen Familienmenschen dramatisch. „Er ist einer der lebensfrohsten Menschen, die ich kenne“, sagt Kerstin Stieglitz, seit 15 Jahren mit ihm befreundet. „Was Gabor an Freiheit und Selbstbestimmung möglich ist, dafür kämpft er.“