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DDR-Musik Ein Lied findet aus jedem Labyrinth

Mehr als 30 Jahre ist es her, dass die Wernigeroder Band Flexibel verboten wurde.

Von Ivonne Sielaff 11.01.2020, 02:36

Wernigerode l „Und da gibt es welche, die uns das nicht gönnen, die uns nicht gönnen, dass wir unseren Weg zu Ende gehen, und schicken sie uns Blitz, Hagel und Stürme, zusammen werden wir widerstehen. Und versuchen sie uns totzuschweigen, ein Lied findet doch aus jedem Labyrinth.“

Diese Zeilen sind aus dem Song „Steine“. Sie stammen aus der Feder von Ralf Mattern. Mit seiner Band Flexibel hatte sich der Wernigeröder Ende der 1980er Jahre einen Namen als Gitarrist und Texter gemacht – weit über die Stadtgrenzen hinaus. Flexibel war damals die einzige Jugendrockgruppe und galt deshalb als Förderband der FDJ-Kreisleitung. Während die Musikfans zu ihren Auftritten pilgerten, wurde auch die Stasi auf die jungen Musiker aufmerksam. Grund waren die Texte von Ralf Mattern - mal melancholisch, mal rebellisch und ganz oft auch systemkritisch. Das galt bei der Staatsmacht von einst nicht nur als verpönt, sondern als jugendgefährdend – und musste unterbunden werden.

Fingierte Telegramme, Vorladungen bei der Stasi, Bespitzelung, spontane Berufung zur NVA waren nur der Anfang. Im Sommer 1989 wurde die Band verboten. Ralf Mattern erinnert sich: „Wir erfuhren von der Absage unseres Auftrittes aus der Zeitung.“ Die Band sollte am 27. Juli im Blankenburger Stadtpark spielen. In der Volksstimme hieß es damals: „Der ursprünglich vorgesehene Auftritt der Gruppe ‚Flexibel‘ muss leider ausfallen.“ Die Musiker durften die Bühne nicht betreten. Dabei lag zu dem Zeitpunkt nicht einmal eine offizielle Verbotsverfügung vor. Die sei nicht notwendig, erfuhren die Musiker am Tag des geplanten Auftrittes von einem Polizisten. Den Veranstaltern seien kurzerhand so hohe Auflagen erteilt worden, dass diese gezwungen waren, das Konzert abzusagen – was einem Auftrittsverbot gleichkam.

Angeblich befürchtete man Ausschreitungen des Publikums. Die Konzertbesucher hätten sich in der Vergangenheit auf dem Nachhauseweg ungebührlich verhalten und politisch problematische Textzeilen gegrölt.

Sicher nur ein Vorwand. „Offenheit, Kritik am Staat, Forderungen nach heute selbstverständlichen Rechten wie Meinungs- oder Reisefreiheit wollten die Regierenden in der DDR in Sälen der Republik nicht musikalisch umgesetzt präsentiert bekommen“, so Ralf Mattern. „Weil sie wussten, wie sensibel und genau hinhörend das Publikum darauf reagiert.“

Für die Musiker war das plötzliche Auftrittsverbot existenzbedrohend. Denn egal wo Bands in der DDR auftraten, Veranstalter mussten sich nicht nur die Auftrittserlaubnis der Musiker zeigen lassen. Über die Polizeidienststelle wurde zudem geprüft, ob in der Heimatstadt der Gruppe etwas gegen sie vorlag. „Erst dann konnte ein Vertrag geschlossen werden“, so Mattern.

Dennoch gab es einige Mutige, die die Musiker in den Folgemonaten trotzdem auf die Bühne holten. Auch die Zeit holte das Auftrittsverbot ein. Mit der Wende eröffneten sich für Flexibel neue Chancen. Unter dem Namen Aufbruch starteten sie in den 1990er Jahren musikalisch noch einmal richtig durch.

Gut 30 Jahre sind seitdem vergangen. Anlass genug für Ralf Mattern, die verbotenen Songs von damals auf Schallplatte beziehungsweise CD brennen zu lassen. Neun Lieder, in denen die Musiker von damals ihre Gefühle, Erfahrungen und ihr Denken in Worte fassten und mit Musik versahen. Fünf Lieder aus den 1980er Jahren wurden neu eingespielt. Die restlichen Songs sind Probenmitschnitte aus jeder Zeit. Festgehalten mit „ziemlich miesen Aufnahmegeräten“, verrät Ralf Mattern. „Wir denken aber, dass diese Songs damit viel authentischer rüberkommen.“

Ob die Lieder die Menschen auch heute noch berühren? Ralf Mattern glaubt das. „Während die politischen Songs aus der DDR-Zeit noch immer aus dem Grund wichtig sind, sich zu erinnern oder aus der DDR nachträglich eine Riesengaudi zu machen, sind die nicht vordergründig politischen Songs eigentlich noch immer aktuell.“

Die Platte/CD „Aufbruch Flexibel: Die verbotenen DDR-Songs“ ist in einer limitierten Auflage von 500 Stück erschienen. Deshalb ist der Tonträger exklusiv auch nur im Onlineshop von www.nix-gut.de und bei Amazon erhältlich.