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Diskussion Streiken gegen „Weiter so“

Zeit für einen Schlagabtausch im Hauptmann-Gymnasium Wernigerode, der viele Facetten der Debatte um den „Friday for Future“ ins Visier nahm.

Von Julia Bruns 10.06.2019, 04:18

Wernigerode l Kann die Straße das Klassenzimmer ersetzen? Nur eine der Fragen, die die Gemüter in der Podiumsdebatte im Gerhart-Hauptmann-Gymnasium erhitzt hatten. Initiiert von Jugendlichen, die die traditionsreiche Schule besuchen, sitzen Karsten Barner (SPD), Angela Gorr (CDU), Sabine Wetzel (Bündnis90/Die Grünen), Britta Grinda (Landesschulamt), die Zwölftklässlerin und Fridays-for-Future-Initiatorin in Wernigerode, Gesa Gärtner, Ruth Fiedler (Die Linke) und die Umweltpsychologin Dr. Hannah Wallis (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) im Podium und stellen sich den Fragen von Luca Siede und Lorenz Crome.

Anfangs noch recht aufgeregt, führen die beiden Schüler bald schlagfertig durch die Diskussion, bei der vor allem zwei Teilnehmerinnen ins Kreuzverhör genommen werden: Angela Gorr und Britta Grinda loben zwar das Engagement der Schüler, sähen es aber lieber in den Unterricht anstatt in die Freitagsdemos investiert.

„Sie tun ja gerade so, als ob der Weltuntergang in zehn Jahren ansteht“, sagt Britta Grinda. Ein Buhen geht durch die Reihen. „Tatsächlich steht die Uhr bei neun Jahren, wenn wir so weitermachen wie bisher“, entgegnet Lorenz Crome und hat eine passende Studie parat, die seine Aussage belegt. „Das ist eine Weltuhr – und wir in Deutschland haben nur einen ganz kleinen Anteil daran“, beschwichtigt ihn die Mitarbeiterin des Landesschulamtes.

Sätze, die die Jugendlichen schon oft gehört haben. „Ich bin weder in der Bundesregierung, noch Bundestagsabgeordnete“, wiegelt Angela Gorr die Frage ab, warum die Politik nicht das Ruder rumreiße. Nicht nur als Politiker, auch persönlich habe man wenig Einfluss, meint sie. Einer Studie zufolge könnten die Wernigeröder Bürger ohnehin nur zehn Prozent der CO2-Ausstöße in ihrer Stadt beeinflussen. „Der Rest ist Industrie“, sagt sie. Und dafür, dass die Regierung einiges verschlafen habe, habe sie schlechte Noten erhalten. „Nein, es sind wir, die diese schlechten Noten zu spüren kriegen“, sagt Luca Siede. Es klingt ein wenig verzweifelt. Gorr entgegnet: „Aber wir sitzen doch alle im selben Boot.“

„Wir können hoffen, dass die Parteien, die gewählt wurden, uns da heile durchbringen“, sagt Gesa Gärtner. Sie hat die Proteste in Wernigerode initiiert. Sie fanden seit Februar freitags ab 13 Uhr statt, also nach Schulschluss. „Wir sind keine Gewerkschaft, dürfen nicht streiken. Aber wir dürfen deshalb noch lange nicht unter Generalverdacht gestellt werden, schwänzen zu wollen. Man nimmt uns nicht ernst, habe ich oft gedacht“, sagt die Zwölftklässlerin. „Jetzt sitze ich hier. Das zeigt ja, dass wir doch langsam gehört werden.“

Ziviler Ungehorsam sei durchaus ein geeignetes Mittel, um aktiv in die Politik einzugreifen, ist Ruth Fiedler überzeugt. Sie hatte neun Schülern des Stadtfeld-Gymnasiums die Fahrkarten nach Magdeburg zu den ersten Protesten bezahlt, um diese bei ihrer Teilnahme zu unterstützen, berichtet sie. „Es ist naturwissenschaftlich bewiesen, dass ihr Recht habt“, ermutigt sie die Schüler. „Macht es nicht nach Schulschluss – geht vormittags protestieren.“ Erst dann handele es sich um den bewussten Rechtsbruch, in der Kenntnis, bestraft zu werden – kurz: um zivilen Ungehorsam.

Karsten Barner räumt derweil ein, dass bislang von den Machthabenden vieles versäumt wurde, erinnert aber gleichzeitig daran, dass das Klimaschutzgesetz aus der Feder von SPD-Umweltministerin Svenja Schulze seit Februar von der CDU ignoriert worden sei. Für Sabine Wetzel keine Überraschung: „Politiker machen eben das, was Parteilinie ist. Und die wird meiner Wahrnehmung nach von Lobbyisten bestimmt. Es muss sofort mit der Umsetzung konkreter Schritte in Deutschland begonnen werden“, sagt die Grundschullehrerin.

„Die entsprechenden Kataloge und Gutachten liegen lange vor“, berichtet derweil Dr. Hannah Wallis. „Die Klimakrise ist ein massives Problem. Und die Fridays for Future-Bewegung ist eine ganz aktive Art von Zukunftsmitgestaltung – besonders für die, die unter 18 Jahren sind und kein Wahlrecht haben.“ Kommentar