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Explosion Spurensuche und Rückkehr zum Alltag

Auch einen Tag danach beschäftigt die Explosion in einem Halberstädter Wohnhaus nicht nur die Ermittler.

Von Sabine Scholz 28.05.2019, 04:00

Halberstadt l Mit dem Morgenlicht endet auch der Schrecken für die, die am Sonntag unvermittelt ihre Häuser verlassen mussten. Um 3.30 Uhr hebt der Krisenstab der Stadt die Evakuierung auf, die 670 Männer, Frauen und Kinder dürfen wieder in ihre Häuser und Wohnungen zurückkehren.

36 von ihnen hatten die Nacht auf Feldbetten im Freizeit- und Sportzentrum (FSZ) verbracht, räumten aber gegen 4.15 Uhr ihr Notquartier, sodass zur regulären Öffnungszeit des FSZ nichts mehr von dem Notquatier zu sehen war. „Über Nacht waren auch zwei Mitarbeiter von uns vor Ort, das ist doch logisch“, kommentiert FSZ-Geschäftsführer Derk Bartel die besondere Situation. Auch tagsüber hatten die Mitarbeiter zu tun, um die Evakuierten zu versorgen.

Als klar war, dass die Bewohner des Areals rund um die Minslebener Straße nicht gegen 22 Uhr nach Hause können, wurde der Betreuungszug der DLRG Wernigerode alarmiert. Der hatte am Sonntagabend dann gegen 21.45 Uhr begonnen, 250 Feldbetten in der großen Turnhalle aufzubauen. Der Trupp übernahm auch die Versorgung derer, die sich im FSZ gemeldet hatten.

Im Laufe des Tages waren das rund 80 Menschen, aber auch von ihnen nutzten viele die Möglichkeit, bei Freunden, Familien oder Bekannten unterzukommen. Einige suchten Unterschlupf in einem Hotel oder einer Pension. Das direkt neben dem FSZ gelegene Restaurant „Am Sommerbad“ hatte unkompliziert Hilfe angeboten, auch hier wurden Pensionszimmer belegt. „Ist doch klar, dass man sich in solcher Situation hilft“, sagt Gastronom Chris Schöne.

„Die Leute freuen sich nicht, sind aber recht entspannt“, sagt Nadine Kappe, die am Sonntag im Wechsel mit Ben Hartmann im Auftrag der Stadtverwaltung die Menschen am FSZ empfing und sich um tausend Dinge zu kümmern hatte. Dabei gab es auch berührende Szenen. Eine 90-jährige Frau habe ihr gesagt: „Man muss es nehmen wie es kommt“ und nutzte das Notquartier zum Übernachten.

Während viele Hundebesitzer ihre Tiere anderweitig unterbringen konnten, war das zwei Männern nicht möglich, sie wurden mit ihren Tieren im Kursraum untergebracht.

„Als Betroffene des Evakuierungsgebietes ist es uns ein Bedürfnis, all den freiwilligen und hauptberuflichen Einsatzkräften von Feuerwehr, Polizei, Katastrophenschutz und Stadtbediensteten einen großen Dank für Ihr Engagement auszusprechen“, schreibt Klaus Diße an die Redaktion. „Es war ein sehr trauriger Anlass, doch die nette Betreuung den ganzen Tag und die folgende Nacht empfanden wir als sehr liebevoll.“ Auch für die „vielfältigen Hilfsangebote von Freunden und Bekannten“ möchte er sich bedanken.

Auf ein solches konnte auch ein 71-Jähriger Nachbar bauen und bei seinem Sohn übernachten. „Ich war morgens auf dem Friedhof und als ich zurückwollte, kam ich nicht mehr zu meinem Haus“, berichtet der Rentner am nächsten Tag. Weder Kleidung, noch Medikamente habe er holen können. Besorgt sei er jedoch zu keinem Zeitpunkt gewesen. Schon am Montag ist wieder Alltag bei ihm eingekehrt, der Senior befreit die Fugen in seiner Einfahrt vom Unkraut.

Zum Wochenstart herrscht auch in der Tankstelle, die sich in unmittelbarer Nähe des Tatorts befindet, wieder geschäftiges Treiben. „Aber Sonntag, der Haupttag für uns, ist weggefallen und auch die Stammkunden, die am Montagmorgen kommen, haben wir heute verpasst“, berichtet eine Mitarbeiterin. Zwar habe die Tankstelle während der Evakuierung schließen müssen, besondere Sicherheitsvorkehrungen seien aber nicht notwendig gewesen.

Das gilt auch für das mit verschiedenen Gasen handelnde Unternehmen Pollmanns-Gas in der Harzstraße. „Wir haben über die Medien erfahren, was los ist“, berichtet Mitarbeiterin Cornelia Bohte. Der Geschäftsinhaber, ihr Bruder, habe zudem zahlreiche Anrufe von besorgten Leuten erhalten. „Auf einigen Fotos und Filmaufnahmen war das Firmengelände zu sehen und deshalb dachten einige, hier sei etwas passiert“, erläutert Cornelia Bohte. Doch das sei nicht der Fall gewesen, betont sie. So konnte am Montag ganz normal die Arbeit im Unternehmen wieder aufgenommen werden. Nur eines sei auffällig: „Noch nie sind so viele Leute durch die Minslebener Straße gefahren und gegangen.“

Doch die scheinen sich mit einem kurzen blick auf den Ort des Geschehens zufrieden zu geben. Denn Probleme mit penetranten Gaffern haben sie nicht, versichern Polizeibeamte, die den Tatort sichern.

Dort hatte ein 43-Jähriger, der bei der Explosion eine Hand verlor, laut Polizei diverse Chemikalien gehortet – der Grund für die Evakuierung. Spezialisten hatten Proben genommen und so bereits gegen 3 Uhr am Montagmorgen die Stoffe identifiziert. Es handele sich um Grundsubstanzen, informiert eine Polizeisprecherin. Diese können legal erworben werden. Einzeln gelagert gehe von ihnen keine akute Gefahr aus – erst, wenn sie gemischt werden.

Aber was hatte der Hausbewohner, ein Deutscher bulgarischer Herkunft, mit den Chemikalien vor? In der Nachbarschaft wird seit dem Unglück viel getuschelt. Von einem Drogenlabor zur Herstellung von Crystal Meth ist ebenso die Rede wie von „Goldherstellung“. Demnach habe der Mann mittels Säure versucht, Gold aus Elektroschrott zu gewinnen. Ein anderer Nachbar berichtet, dass das Haus, in dem sich die Explosion ereignete, zur Versteigerung stehen soll. Die Gerüchte reichen von einem Unfall bis hin zu einem Suizidversuch.

Was tatsächlich vorgefallen ist, ermittelt die Polizei. Gegen den Bewohner des Hauses wurde ein Verfahren wegen Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion eingeleitet. Der Mann erlitt schwerste Verletzungen und schwere Verbrennungen. Er wird weiterhin im Krankenhaus behandelt.