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Festabend Böhmer tischt Forderungen auf

Die Hauptakteure beim 21. Wernigeröder Vasten-Colleg haben zwei Dinge gemeinsam: Beide sind Professoren und exzellente Redner.

Von Regina Urbat 29.03.2018, 14:34

Wernigerode l Unterhaltsam, amüsant, genussvoll und wohltuend. Die 21. Auflage des Vasten-Collegs im Rathausfestsaal hätte Graf Heinrich zu Wernigerode gefallen.
Er war es, der im Jahr 1427 solch einen festlichen Abend an die Schenkung des Spelhuses an Rat und Bürgerschaft der Stadt geknüpft hatte. Da­ran erinnerte Oberbürgermeister Peter Gaffert (parteilos) zur Begrüßung der 96 geladenen Gäste, was ebenso zur Tradition gehört, seit sein Vorgänger Ludwig Hoffmann (SPD) am Dienstag nach Palmsonntag 1997 das gesellige Beisammensein im Rathaus wiederbelebte.
Vor der Festrede gab es zunächst eine Überraschung für den am weitesten angereisten Gast: Hans-Georg Löffler, 16 Jahre lang Oberbürgermeister der Partnerstadt Neustadt an der Weinstraße, wurde für seine engagierte Zusammenarbeit gedankt und ein Wunsch erfüllt. "Ein Bild von Karl Oppermann", sagte Gaffert und enthüllte mit Stadtratspräsidenten Uwe-Friedrich Albrecht (CDU) und dem Künstler das Gemälde. Zum Augenschmaus gab es noch eine Gaumenfreude: das Wernigeröder Rathaus aus Schokolade. Der Neustadter, eher selten sprachlos, zeigte sich beeindruckt und bedankte sich herzlich.
Anschließend betrat mit Wolfgang Böhmer ein weiterer "Ex" die Bühne und hielt die Festrede. Als den für ihn fähigsten Ministerpräsidenten hatte Gaffert den ehemaligen CDU-Landespolitiker angekündigt. Auch, dass er dafür bekannt sei, Wahrheiten aufzutischen.
Das tat Böhmer und sprach beispielsweise davon, dass er nie an eine Wiedervereinigung geglaubt habe. "Dazu reichte meine Fantasie einfach nicht." Doch es passierte: Der 9. November 1989 habe die Welt verändert. Böhmer ließ den Aufbau neuer Strukturen nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft Revue passieren. "Die Ärmel hoch zu krempeln wie nach dem Zweiten Weltkrieg, das reichte nicht", sagte der 82-Jährige. Es sei diesmal ein Aufbau gegen den gesättigten Markt, der "schwer und langsamer war - und noch nicht zu Ende ist".
Mit Blick in die Zukunft mahnte der Medizinprofessor, dass die tief sitzenden Vorurteile, die Ossis gegen Wessis und umgekehrt haben, endlich überwunden werden müssen. Er forderte ein Ende des Gejammers. "Freiheit bedeutet Eigenverantwortung." Und der Staat müsse dafür sorgen, "dass der Bürger sie wahrnehmen kann und nicht, dass es mir gut geht". Zudem müsse das Geschrei nach mehr Geld aufhören. "Wir sollten den Mut haben zu sagen, den Rest schaffen wir - mit Kreativität, Leistungsfähigkeit und Anspruch", betonte Böhmer und erntete tosenden Beifall.
Gern hätte Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) den Faden seines Vorredners weiter gesponnen und wäre auf die Lage im Land, "die gut ist", eingegangen. "Doch dafür ist die Bratenrede vor dem Dessert nicht gedacht." So wagte der Wernigeröder einen Vergleich zum Thema Nachhaltigkeit und fragte: "Wird die moderne Straße der Romanik die Straße des Bauhauses?" Dass die 88 Bauwerke in 73 Orten, die im Hochmittelalter entstanden, Spuren hinterlassen haben, sei unumstritten. Wie nachhaltig der Stil des 20. Jahrhunderts wirke, werde das Bauhaus-Jubiläum 2019 zeigen. Willingmann selbst zweifelte, zumal Bauhaus zwar modern und zeitlos sei, sich aber die Geister daran scheiden.
Für weitere Unterhaltung sorgte zur Begrüßung und im Anschluss an das Vasten-Mahl die Musikschule Schicker. Gastronomisch betreut und verwöhnt wurden die Gäste vom Team des Hotels "Weißer Hirsch" unter der Leitung von Christian Wieland. Als Hauptgang wurde Rinderlende mit gebratener Garnele, Bärlauch und Ziegenkäse plus Kartoffel-Limetten-Gratin serviert. Dazu gab es Weine aus der Partnerstadt, Hasseröder Bier und Mineralwasser aus Blankenburg.