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Forschung Geschichte als Lebenselixier

Wer war Graf Botho zu Stolberg-Wernigerode? Steffen Wendlik hat sich für seine Doktorarbeit mit dem Leben des Adligen befasst.

Von Ivonne Sielaff 25.09.2016, 08:13

Wernigerode l Die Ahnenliste des Adelshauses Stolberg-Wernigerode ist lang. Einige Mitglieder der Familie sind gut erforscht, zu vielen ist nur wenig bekannt. Graf Botho zu Stolberg-Wernigerode (1805-1881) kam in der Fachliteratur bisher eher schlecht weg. Das soll sich mit der Doktorarbeit von Steffen Wendlik ändern.

Der gebürtige Oscherslebener wohnt seit über 15 Jahren in Schmatzfeld und arbeitet als Geschichtslehrer am Fallstein-Gymnasium Osterwieck. Für seine Dissertation hat er sich mit Leben von Werk von Graf Botho auseinander gesetzt.

„Die Geschichte dieser Region und die Geschichte der Grafenfamilie haben mich schon lange interessiert“, sagt er. Botho sei der Onkel von Fürst Otto, Vizekanzler unter Bismarck und einer der bekanntesten Stolberger, gewesen. In der Forschung werde Graf Botho als „eng und starr im Denken“ und als fortschrittsfeindlich beschrieben.

Graf Botho sei keineswegs ein Versager gewesen, sagt Wendlik. „Solche Beurteilungen gehen auf die Lebenserinnerungen seines Neffen Otto zurück, die voll von fallbeilartigen Urteilen über seine Zeitgenossen sind.“

So habe der Graf sich, was bisher kaum gewürdigt wurde, einen Namen als Historiker gemacht. „Er hat beispielsweise eine der bedeutendsten burgenkundlichen Sammlungen des 19. Jahrhunderts hinterlassen“, sagt Wendlik. Bereits in seiner Jugend habe der Adlige aus architektonischem Interesse Burgen in ganz Deutschland maßstabsgetreu skizziert beziehungsweise Grafiken anderer gesammelt.

„Dieser Teil seines Nachlasses, der mehr als 10 000 Blatt umfasst, ist vor allem für Burgenforscher interessant, weil die Zeichnungen häufig Burgen zeigen, bevor sie historisch überbaut wurden - so wie man sie sich im Zuge einer romantischen Verklärung des Mittelalters vorgestellt hatte.“ Graf Botho selbst sei im Wernigeröder Schloss aufgewachsen und habe sich am Umbau des alten Gemäuers gestört.

Politisch gesehen sei er jedoch äußerst erfolglos gewesen. Sämtliche seiner Initiativen seien gescheitert. „Er wurde in eine Zeit hineingeboren, in der die Standesschranken aufweichten. Die Adligen des 19. Jahrhunderts mussten sich während des Übergangs zur Moderne zurechtfinden.“ Im Unterschied zu anderen Adligen hing Graf Botho der alten Vorstellung nach, dass jeder Mensch in der Gesellschaft die Stellung einnahm, die ihm göttlich vorherbestimmt war. Als der Adel im Laufe des 19. Jahrhunderts an Macht und Einfluss verlor, sei er verunsichert gewesen. „Ihm wurde vorgeworfen, dass er die Zeichen der Zeit nicht verstanden habe. Aber das muss man differenziert sehen.“ Er habe die Moderne und den Bismarckschen Staatsapparat abgelehnt, weil er im erstarkenden Liberalismus und in der Machtkonzentration eines zentralisierten Staatswesens Gefahren für traditionelle gewachsene Herrschaftsbeziehungen sah. Ganz anders als sein Neffe Otto, der damals in Berlin politisch aufstieg.

Kompensiert hat Graf Botho seine politischen Misserfolge mit seiner Hinwendung zur Vergangenheit. Er setzte sich nicht nur mit der Architektur mittelalterlicher Burgen auseinander, sondern verfasste waffenkundliche Aufsätze, korrespondierte mit Wissenschaftlern, vertiefte sich in die Mythologie, engagierte sich im historischen Vereinswesen und war sogar Gründungsvorsitzender des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde. Ab 1862 lebte er in Ilsenburg. Unter seiner Leitung fanden Ausgrabungen im Kloster statt. So ließ er die Fundamente der Marienkapelle freilegen. Der nach ihm benannte neuere Teil der Anlage (Bothobau) wurde nach seinen architektonischen Vorstellungen gestaltet. Zudem nutzte er das Kloster museal, in dem er unter anderem seine Waffensammlung frei zugänglich machte.

Darüber hinaus befasste er sich intensiv mit der Geschichte des Hauses Stolberg-Wernigerode. „Er forschte in etlichen Archiven, seine Aufzeichnungen umfassen mehrere dicke Bände.“ Über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten habe er an seiner Familienchronik gearbeitet mit dem Ziel, seine Ergebnisse zu veröffentlichen.

Am Ende entschied er sich jedoch gegen eine Publikation. „Es passte nicht, über den einstigen Glanz des Hauses zu berichten, wenn in der Gegenwart all seine Rechte dahinschwinden“, so Steffen Wendlik mit Blick auf die Aufgabe der stolbergischen Regierungsrechte über die Grafschaft Wernigerode Mitte der 1870er Jahre. Später, nach Bothos Tod, ließ Otto die Chronik schließlich veröffentlichen.

„Es war ein Puzzlespiel. Ich musste viele Mosaikstücke zusammensetzen“, blickt Steffen Wendlik auf die Arbeit an seiner Dissertation zurück. Jahrelang habe er recherchiert - in Archiven in Wernigerode, in Nürnberg, im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin und im Archiv von Fürst Philipp zu Stolberg-Wernigerode im hessischen Hirzenhain/Luisenlust.

„Ich habe nicht den Anspruch, eine vollständige Biografie zu liefern“, sagt der Historiker. Über bestimmte Lebensabschnitte sei nach wie vor wenig bekannt. Dennoch sei die Beschäftigung mit einer Person wie Botho zu Stolberg-Wernigerode lohnenswert und äußerst interessant gewesen. „Er hat sich gegen die moderne Zeit gesperrt. Ihm war bewusst, dass er den letztlich bis in die Gegenwart reichenden Modernisierungsprozess nicht aufhalten kann. Mich interessieren seine Motive dafür, diese Entwicklung bremsen zu wollen.“

Steffen Wendlik hat an der Otto-von Guerike-Universität Magdeburg bei den Professoren Mathias Tullner und Konrad Breitenborn promoviert. Seine Dissertation „Geschichte als Lebensmaxime. Graf Botho zu Stolberg-Wernigerode (1805-1881). Konservatives und Geisteswissenschaftliches Engagement eines nachgeborenen Adligen im Übergang zur Moderne“ soll noch in diesem Jahr veröffentlicht werden.

Herausgeber ist die Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt.

Das Buch von Steffen Wendlik wird am Mittwoch, 23. November, um 19 Uhr in Kloster Ilsenburg vorgestellt