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Forschung Jede Akte bedeutet ein Schicksal

Studentin Diana Richter sucht in der Wernigeröder Harzbücherei nach Büchern, die Juden während der NS-Zeit entzogen worden sind.

Von Ivonne Sielaff 16.07.2017, 01:07

Wernigerode l Bücher sind in den nächsten Monaten die treuesten Begleiter für Diana Richter. Die 36-jährige Studentin tauscht Seminarraum und Vorlesungssaal für ein halbes Jahr gegen die Archive der Wernigeröder Harzbücherei. Die Nachwuchs- wissenschaftlerin der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg wird die Bestände Stück für Stück durchforsten.

„Ich bin auf der Suche nach Raubgut aus der Zeit des Nationalsozialismus“, erklärt die gebürtige Wolmirstedterin. „Also Bücher, die Juden oder politisch Verfolgten entzogen wurden.“ Menschen jüdischen Glaubens waren in den 1930er Jahren gezwungen, ihre Vermögenswerte offenzulegen. Dazu zählten auch Bücher.

„Das Judentum ist eine Schriftreligion“, so die Studentin der Europäischen Kulturgeschichte. Gelehrte hätten oft private Bibliotheken besessen mit Fachliteratur, aber auch Romanen. „Goethe, Schiller und Heine waren damals Pflichtprogramm, aber auch Werke aus der Weimarer Republik und etliche heute vergessene Autoren.“

Im Magdeburger Landesarchiv habe sie zur Vorrecherche bereits Bücherlisten studiert, in denen die Bestände von Juden und politisch Verfolgten dokumentiert wurden, und dabei einige Treffer für Wernigerode entdeckt. 15 Jüdische Familien hätten in jener Zeit in der Stadt gelebt. Der Name Rosenthal sei in einer der Listen aufgetaucht.

Rahmen für Diana Richters Forschung ist ein Projekt des Landesverbandes im Deutschen Bibliotheksverband, gefördert wird es vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Beteiligt sind fünf Einrichtungen in Sachsen-Anhalt, neben Wernigerode befinden sie sich in Magdeburg, Dessau, Sangerhausen und Zerbst.

„Wir haben uns als Stadt bewusst für dieses Projekt beworben“, sagt Sozialdezernent Christian Fischer. „Wir wollen zeigen, dass Wernigerode eine Stadt mit historischen Brüchen ist, mit Irrungen und Wirrungen zwischen 1933 und 1945, die wir aufarbeiten.“ Ziel sei es, 70 Jahre später herauszufinden, ob es Fundstücke gibt. „Wenn ja, wollen wir so schnell wie möglich Kontakt zu den Erbengemeinschaften aufnehmen und den Besitz zurückgeben.“ Bücher hätten oftmals nicht nur einen symbolischen Wert, so Fischer. „Teilweise sind das Erbstücke. Und Bücher aus dem Antiquariat sind von erheblichem Wert.“

Vor Diana Richter liegt nun ein Berg von Arbeit. In der Harzbücherei lagern mehr als 30 000 Schriftstücke über den Harz, darunter Bücher, Karten und Hefte. Der Harz-Verein legte vor fast 150 Jahren den Grundstock für diese Sammlung. Daraus entwickelte sich eine wissenschaftliche Spezialbibliothek für die Harzregion. Die ältesten Druckwerke im Bestand stammen aus dem 16. Jahrhundert. Größtenteils datieren die Bücher jedoch aus dem 19. und 20. Jahrhundert.

„Das ist ein bisschen wie Detektiv-Arbeit“, sagt Diana Richter. In den Büchern seien viele Signaturen überklebt, teilweise sogar mehrfach. Gleichzeitig hofft sie, in alten Eingangsbüchern, in Bücherlisten sowie in den historischen Akten des Wernigeröder Stadtarchivs fündig zu werden. Dabei seien Schriftstücke wie diese für sie nicht einfach nur altes Papier, sagt die 36-Jährige nachdenklich. „Jede Akte erzählt eine Geschichte. Und das bewegt mich sehr.“