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Gewalt gegen Frauen Schutz vor Prügel

Viele Frauen fliehen vor Gewalt in der Beziehung. Die Frauenschutzwohnung in Wernigerode ist ständig belegt.

Von Julia Bruns 06.12.2017, 00:01

Wernigerode l Sie sind 18, 46 und 70 Jahre alt – sie kommen aus Wernigerode, dem gesamten Harz, aber auch aus Ländern wie Afghanistan. Sie sind vor Gewalt in der Ehe, vor einem aggressiven Elternhaus, einem prügelnden Schwiegervater oder einem stalkenden Ex-Freund geflüchtet. Und sie finden Zuflucht in der Frauenschutzwohnung der Stadtverwaltung. „Viele Frauen trauen sich nicht, zur Polizei zu gehen, wollen den Partner nicht bloßstellen“, sagt Nadine Albrecht. Die 38-Jährige ist als Sachgebietsleiterin für Soziale Dienste in der Wernigeröder Stadtverwaltung verantwortlich für die Frauenschutzwohnung und ihre Bewohnerinnen.

Die Wohnung ist wie eine Wohngemeinschaft aufgebaut. „Mit vier großen Einzelzimmern“, sagt die Sozialpädagogin. „Die Räume sind wie einfache Hotelzimmer ausgestattet, verfügen über Wickeltisch und Kinderbett.“ 156 Quadratmeter ist die Wohnung groß, ein Wohnzimmer, zwei Bäder und eine Küche gehören dazu. Viele würden mit ihren Kindern einziehen.

„Es ist die große Ausnahme, dass die Frauen nachts, heulend, mit einem schreienden Kind auf dem Arm von der Polizei zur Wohnung begleitet werden“, räumt Nadine Albrecht mit einem Vorurteil auf. Die meisten würden von den Netzwerkpartnern – Polizei, gerichtliche bestellter Betreuer, sozialpsychiatrischer Dienst, Jugendamt, Beratungsstellen, Kliniken – den Kontakt zu ihr aufnehmen, sich zunächst beraten lassen. „Es ist viel Mund-zu-Mund-Propaganda.“

Erstes Anliegen der Frauen sei es, Schutz zu suchen. „Und dann kommen alle anderen Probleme wie ein Rattenschwanz hinterher: Der Beitrag für die Kindertagesstätte ist nicht bezahlt, der Mann hat Suchtprobleme, Schulden wurden in der Familie angehäuft“, zählt sie auf. Ziel sei es, die Lebensbasis der Frauen wieder so herzustellen, dass sie in ein neues Leben starten können. „Wir helfen bei der Schuldenregulierung, vermitteln einen Kindergartenplatz. Aber die Hauptaufgabe besteht darin, Gespräche zu führen“, erläutert sie.

Nadine Albrecht wird dabei von ihren Kolleginnen Caroline Otto und Carola Stockmann unterstützt. Sie stärken die Betroffenen in den sehr persönlichen Gesprächen in ihrem Selbstwertgefühl, sodass sie sich irgendwann wieder trauen, auf eigenen Beinen zu stehen.

Die Bewohnerinnen gestalten und strukturieren ihren Tag selbst. „Jede Frau stimmt ihren Tagesablauf für sich ab. Häufig sitzen sie auch zusammen im Gemeinschaftswohnzimmer und tauschen sich aus“, sagt sie. Ab 18 Uhr sei die Tür mit einer großen Metalltür fest verriegelt, die Frauen können aber ein- und ausgehen.

Seit 1992 hält die Stadtverwaltung die Frauenschutzwohnung vor. „Und seit fünf Jahren ist die Wohnung an ihrem aktuellen Standort“, so die Benneckensteinerin. Viele der Frauen würden trotz der prekären Situation weiter den Kontakt zum Partner halten, so wüssten die Partner gelegentlich vom Standort der Frauenschutzwohnung, der eigentlich geheim bleiben soll. Dennoch habe es bislang nie einen Zwischenfall in der Wohnung gegeben.

19 Frauenhäuser befinden sich ihr zufolge in Sachsen-Anhalt. „Wir vermitteln auch weiter, wenn die Wohnung voll belegt ist.“ Derzeit liege die Quote ungewöhnlich hoch – bei 101 Prozent. 2016 waren es 27 Frauen, die in Wernigerode Schutz gesucht haben. Durchschnittlich bleiben sie 50 Tage. „Die Wohnung war in diesem Jahr schon mehrfach so stark belegt, dass ein Notbett aufgestellt werden musste“, berichtet sie. Dennoch bestehe kein Bedarf an einer weiteren Schutzwohnung. „In anderen Landkreisen Deutschlands sieht es ganz anders aus“, so Nadine Albrecht. „Die Frauenschutzwohnung in Hannover hat Wartelisten, in Göttingen ist die Lage ähnlich angespannt. Wir sind dagegen gut ausgelastet.“

Macht, Kontrolle, eigene Ängste und Unsicherheiten würden dazu führen, dass Männer gegenüber Frauen übergriffig werden. „Man sagt, jede zweite Frau erlebt in ihrem Leben Gewalt, jede vierte in der Beziehung – egal, welche Schicht“, so Nadine Albrecht. Bedarf für eine Wohnung, werde es „leider immer geben“.

Kontakt für Betroffene unter Telefon (0 39 43) 654-512 oder -511, Notruf unter 0173 20 99 700