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Integration Frieden ist der größte Wunsch

Frieden für seine Heimat - mit diesem Wunsch blickt Samir Sido auf das Jahr 2018. Der Syrer lebt seit zwei Jahren in Wernigerode.

Von Julia Bruns 01.01.2018, 07:03

Wernigerode l „Die Leute in Wernigerode sind so lieb, so offen und ehrlich, die Stadt hat eine tolle Historie.“ Wenn Samir Sido über seine neue Heimat spricht, dann gerät er schnell ins Schwärmen. Seit zwei Jahren lebt der 34-Jährige in Wernigerode – und er lässt keine Gelegenheit aus, seine Dankbarkeit dafür zu zeigen: ob als Brückenbauer in der Johannisgemeinde, als Dolmetscher und unkomplizierter schneller Helfer für Flüchtlinge oder mit seiner Musik, die nach Fernweh, Lebensmut und seiner Heimat klingt. Syrien.

Samir Sido ist nun mit dem Integrationspreis des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet worden. „Ich habe damit nicht gerechnet“, sagt er im Volksstimme-Gespräch. „Ich finde es schön, wenn jemand anerkennt, was man leistet.“ Der Preis gelte jedoch vielmehr den Menschen, die Flüchtlinge wie ihn und seine 22-jährige Schwester Nesrin willkommen geheißen haben, macht der Syrer schnell deutlich.

„Der Preis gehört eigentlich dem Wernigeröder Interkulturellen Netzwerk. Gerade die Mitstreiter Werner Kropf und Lothar Andert sind für mich zu einer richtigen Familie geworden. Der erste Schritt ist immer der wichtigste – und deshalb werde ich ihnen nie vergessen, wie sie mir in den ersten Wochen in Deutschland geholfen haben.“

WIN-Mitglied Lothar Andert war es auch, der den Musikpädagogen für den Integrationspreis vorgeschlagen hat. „Sein ehrenamtlicher Einsatz war und ist nicht hoch genug einzuschätzen“, schreibt Andert, der früher die Innenstadtsanierung Wernigerodes vorangetrieben hatte, in seiner Begründung. „Er vermittelt den Flüchtlingen seine eigenen Grundsätze: Wir wollen in Deutschland nicht alimentierte Geduldete in unseren Wohnungen sein, sondern aktiver Teil der Bevölkerung und uns einbringen.“

Und so waren auch die ersten Worte, die Samir Sido in der Zentralen Anlaufstelle für Asylsuchende in Halberstadt an seine Betreuer richtete: „Wie kann ich helfen?“ Damals noch auf Arabisch, an die Ehrenamtliche Amal Kühne gewandt. Mittlerweile spricht Samir Sido Deutsch auf gutem Niveau, für die nächste Prüfung lernt er bereits. Daneben beherrscht er fließend Kurdisch, Arabisch, Englisch und Türkisch.

Silvester ist für den Kurden eines der wichtigsten Feste. „Für uns Kurden spielt die Kultur eine wichtigere Rolle als die Religion“, erklärt er. Zwar sei er muslimisch, praktiziere den Glauben aber wie viele Kurden nicht – weshalb sie vielfach Zielscheibe für radikale Islamisten sind. „Wir feiern gerne“, sagt er. „Wir beten nicht, wir fasten nicht, wir essen Schweinefleisch, wir trinken auch Alkohol.“ Der Musiker, der 7. bis 9. Klassen in einer öffentlichen Schule in Aleppo unterrichte, stammt aus einer wohlhabenden Familie. „Bevor der Krieg ausbrach, plante ich meinen Master in Deutschland.“ Dass aus diesem Vorhaben nichts wurde, ist dem Krieg in Syrien geschuldet.

Ende 2012 ergreift Samir mit seiner Schwester die Flucht. Zunächst verbringen sie zwei Jahre in der Türkei, wo er im kurdischen Kulturhaus als Musik- und Theaterlehrer arbeitet. Als die Situation für die Kurden in der Türkei immer unerträglicher wird, entschließt sich das Geschwisterpaar, mit einem Schlepper nach Griechenland überzusetzen.

„Das Gummiboot war neun Meter lang, hatte Platz für 30 Personen“, erinnert er sich. „Wir waren aber 62, darunter viele Kinder. Mit vorgehaltener Kalaschnikow wurden wir gezwungen, das Boot zu besteigen.“ Zwei Stunden dauert die Überfahrt auf eine griechische Insel. „Das Boot war halbvoll mit Wasser“, sagt er. „Ich dachte, wir müssen sterben.“

Auf der Insel geht es für die Flüchtlinge 40 Kilometer zu Fuß zum Camp, das diesem Namen nicht gerecht wird: kein Zelt, keine Versorgung, keine Toiletten weit und breit. Samir und Nesrin fahren mit dem Bus nach Mazedonien weiter. 15 Kilometern Fußmarsch über die Grenze nach Serbien folgen weitere Fahrten mit Schleppern Richtung Ungarn und Deutschland. Am 25. August 2015 kommen sie in Halberstadt an. Die Flucht hat sie 4500 Euro gekostet.

Von der ZAST in Halberstadt wird er nach Bernburg, dann nach Förderstedt bei Staßfurt weitergeschickt. Er nimmt Kontakt zu Freunden aus Syrien auf. Einer von ihnen ist Aeham Ahmad, der als „Pianist in den Trümmern“ weltweit Bekanntheit erlangte. Mit ihm und weiteren syrischen Musikern spielt Samir am 14. November 2015 ein denkwürdiges Konzert im Rathaus, es folgt am 18. November ein DankKonzert in der Remise. „Wenn ich singe, vergesse ich alles um mich herum. Die Leute haben geweint in der Remise“, erinnert er sich.

2018 wird für Samir von einem beruflichen und musikalischen Neuanfang geprägt: Der Musikpädagoge ist seit wenigen Wochen beim Internationalen Bund beschäftigt, setzt sich wieder für Projekte ein, die Brücken schlagen zwischen Menschen aus dem Harz und Syrien, afrikanischen Staaten oder dem Irak. Zudem ist er Mitglied einer neuen Band mit zwei deutschen Freunden: Mario Sternitzke und Torsten Schunk. „Ich spiele arabische Gitarre“, verrät er.

Sein größter Wunsch für das neue Jahr? „Dass der Krieg in Syrien endet. Das geht jetzt schon sechs Jahre so. Wenn der Krieg vorbei ist, will ich zurück nach Hause gehen, alles, was ich hier gelernt habe für meine Heimat einsetzen“, sagt er.