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Justiz Amtsgericht arbeitet am Limit

Personalsorgen bestimmen das Tagesgeschäft im Wernigeröder Amtsgericht. Die Misere ist hausgemacht, sagt Direktor Ulrich Baumann.

Von Katrin Schröder 20.04.2017, 01:01

Wernigerode l Der Personalnotstand in der Justiz sorgt landesweit für Schlagzeilen. Betroffen ist davon auch das Wernigeröder Amtsgericht. Die Misere ist hausgemacht, sagt Direktor Ulrich Baumann im Volksstimme-Gespräch und verweist auf das Personalentwicklungskonzept für die Justiz. „Seit Jahren sieht dies für uns nur eine Richtung vor – nämlich Personalabbau“, sagt der Amtsgerichtschef.

52 Mitarbeiter hat das Gericht derzeit – neben den sieben Richtern sind das zum Beispiel Rechtspfleger, Gerichtsvollzieher, Wachtmeister und Beamte im mittleren Dienst. Zwar erfüllen diese laufend ihre Aufgaben, doch fällt dies zunehmend schwer. Der Grund: „Es ist insgesamt nicht mehr ausreichend Personal vorhanden“, sagt ihr Chef.

Akut seien derzeit die Probleme bei den Gerichtsvollziehern in Wernigerode. „Wir haben fünf Stellen, davon sind derzeit vier besetzt“, rechnet Ulrich Baumann vor. Ein Mitarbeiter ist seit einem Jahr krank. Dadurch bleiben mehr Aufgaben an den Kollegen hängen, die dies mitunter nicht mehr schultern können – wie ein Gerichtsvollzieher, der mehrere Wochen erkrankt war. „Auch Leistungsträger fallen aus, weil sie die Spitzenbelastungen nicht mehr auffangen können“, sagt Baumann.

Entspannt hat sich die Lage derweil bei den Richtern. Hier herrschte bis Ende Februar Notstand: Eine Familienrichterin fiel für einige Monate aus. Ein Kollege für Zivil- und Strafrecht ging nach langfristiger Erkrankung zum August 2016 vorzeitig in Pension, danach fielen im Juli und September zwei weitere Strafrichter aus.

Die Kollegen sind wieder auf dem Posten, sagt Baumann – doch ihre Fälle sind während der Krankheitszeit meist liegen geblieben. „Es besteht ein Rückstau von mehr als 130 Sachen“, schätzt der Amtsgerichtsdirektor. „Es wird bis Ende des Jahres dauern, bis der Berg abgearbeitet ist.“ Denn ständig kommen aktuelle Fälle hinzu. 2016 waren es in Wernigerode rund 700 Zivilverfahren, rund 840 Familiensachen, rund 700 Strafverfahren und mehr als 1000 Ordnungswidrigkeiten. Knapp 1400 Betreuungsfälle sind dauerhaft zu bearbeiten. Fatal seien die Verzögerungen, wenn Jugendliche betroffen sind. „Das Jugendstrafrecht hat erzieherischen Charakter“, sagt Baumann. Dazu seien rasche Urteile nötig. „Wenn ein 16-Jähriger erst nach ein bis zwei Jahren abgeurteilt wird, verpufft das.“

Dass Verfahren liegen bleiben, ist auch im Grundbuchamt ein Problem. Wenn eine zuständige Rechtspflegerin wie unlängst mehrere Monate ausfällt, bleiben mindestens 200 Vorgänge pro Monat unerledigt. Das betreffe Gewerbetreibende wie Privatleute, sagt der Jurist. „Wer zum Beispiel ein Haus erwerben will, ist auf die Dienste des Amtes angewiesen.“ Zwar soll künftig das elektronische Grundbuch vieles vereinfachen, doch zuvor müssen die Daten aus bisherigen Akten übertragen werden. Die anfallende Mehrarbeit soll nebenbei erledigt werden. Das geschieht, wegen der prekären Personalsituation aber „im schleichenden Gang“, so Baumann.

Mit den derzeitigen Computerprogrammen könnten die elektronischen Akten nur unzureichend verwaltet werden – auch weil die Leitungen schwach sind. Das Landesdatennetz sei für heutige Datenmengen nicht ausgelegt, sagt der Amtsgerichtschef. Die Folge: „Seit November haben wir immer wieder tageweise, manchmal eine ganze Woche lang mit Systemabstürzen zu kämpfen.“ Das Grundbuchamt ist dann ausgeschaltet. Das schwache Netz bereitet auch auf den anderen Gerichtsrechnern Probleme. Internetrecherchen werden zur Hängepartie, berichtet Ulrich Baumann.

Weniger dramatisch sieht die Lage derzeit im mittleren Dienst aus. Während andernorts Notstand herrscht, sind in Wernigerode alle auf dem Posten. „In diesem Bereich funktioniert es derzeit“, schätzt Ulrich Baumann ein. Bis 2019 stehe jedoch die Pensionierung von vier Mitarbeitern bevor. „Wenn diese Stellen nicht nachbesetzt werden, haben auch wir ein Problem.“

Die Überalterung ist ein Faktor, der Baumann sorgenvoll in die Zukunft blicken lässt. Mit 54 Jahren ist er der zweitjüngste Amtsrichter in Wernigerode. Zwischen 52 und 61 Jahren alt sind seine Kollegen. Die erste Pensionierung steht Ende November 2017 an, in dreieinhalb Jahren folgt die nächste. „Wenn niemand nachfolgt, ist dieses Gericht so nicht mehr zu halten“, warnt der Jurist. Dabei sei bereits klar, dass 2017 und 2018 keine Neueinstellungen zu erwarten seien.

Solange würden Mitarbeiter dorthin versetzt, wo es gerade am meisten brennt. „Doch je schwieriger die Personalsituation an allen Standorten ist, desto schwieriger wird es, sich gegenseitig zu helfen“, sagt Ulrich Baumann. Die Probleme bestünden seit Jahren, würden immer weiter aufgeschoben. Er hoffe, dass die aktuelle Diskussion für ein Umdenken in der Landesregierung sorgt. „Die Personalreserven sind aufgezehrt.“