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Kirche Auf Augenhöhe mit Martin Luther

In der Wernigeröder Sylvestrikirche können Besucher dem Reformator begegnen. Ein Ausstellung zeigt „Martin Luther und die Juden“.

Von Katrin Schröder 15.07.2017, 01:01

Wernigerode l Streng blickt Martin Luther das Seitenschiff der Sylvestrikirche hinunter. Der Mantel des Reformators wirft dekorative Falten, in der Hand hält er die Bibel, die er ins Deutsche übersetzt hat. „Er führte im Turm ein kümmerliches Dasein“, sagt Frank Bresch, Küster der Wernigeröder Sylvestrikirche, über die lebensgroße Holzfigur des Reformators. Diese lagerte jahrelang im Kirchturm, bis Jörn Bischoff sie entdeckte und ihr im Luther-Gedenkjahr zu neuem Glanz verhalf.

Der Gemeindepädagoge der Kirchengemeinde St. Sylvestri und Liebfrauen entdeckte die Skulptur, kurz nachdem er vor eineinhalb Jahren seine Arbeit in Wernigerode aufgenommen hatte. „Wenn ich eine neue Stelle antrete, dann schaue ich mich überall um, auch in den Ecken und Winkeln.“ Bei einer Erkundungstour stieß der 43-Jährige in einem Nebengelass des Sylvestri-Kirchturms auf die hölzerne Statue Martin Luthers. In dem halbdunklen Raum präsentierte sich der Reformator nicht in Bestform, erinnert sich Bischoff. „Er stand in einer Ecke, abgestellt zwischen anderem ,alten Kram‘, den Staub nicht von Jahrhunderten, aber von etlichen Jahrzehnten auf den Schultern.“

Das sollte sich ändern und Luther einen würdigen Platz in der Gemeinde bekommen – doch zuerst brauchte er eine Schönheitskur. Dafür sorgte Gemeindemitglied Christoph Hänel, als Restaurator und Holzgutachter ein Mann vom Fach. „Die Figur war stark verdreckt“, so Hänel. Nachdem die Schmutzschichten entfernt und der Luther umfassend gereinigt war, trug er eine spezielle Lasur auf, damit das Holz wieder leuchtet.

Über die Herkunft der Figur ist wenig bekannt. Vermutlich wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts aus Lindenholz geschnitzt wurde. Der Restaurator vermutet, dass die Skulptur zur Ausstattung des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums gehört hat. Ein Foto zeigt sie in der Schulaula. „Man weiß außerdem, dass sie Anfang des 20. Jahrhunderts an einer Wand in der Sylvestrikirche gehangen hat“, so Bischoff. Zwar wurde eine Suche nach Informationen über die Figur in alten Protokollen der Gemeindekirchenräte gestartet, gefunden wurde noch nichts. „Wenn jemand die Geschichte der Lutherfigur erhellen und Informationen beisteuern kann, würden wir uns sehr freuen“, sagt Bischoff.

Im Reformations-Gedenkjahr will die Kirchengemeinde ihren Luther nutzen. Bis vor kurzem war er an die Christusgemeinde ausgeliehen, die ihn bei der Veranstaltungsreihe über Luthers Predigten gezeigt. Jetzt ist die schwere Holzskulptur in die Sylvestrikirche zurückgekehrt. „Vier Mann mussten sie tragen“, berichtet Küster Frank Bresch. Die Besucher der Sylvestrikirche sind nun eingeladen, sich dem hölzernen Reformator zu nähern. „Wir bieten die Gelegenheit, mit Luther auf Tuchfühlung zu gehen und ihm auf Augenhöhe zu begegnen“, sagt Jörn Bischoff. Anfassen ist ausdrücklich erlaubt, Fotos mit dem Reformator können gern geschossen werden. Denkbar wäre außerdem eine Aktion mit dem Jugendkreis zum Luther-Jubiläum, so eine Idee des Gemeindepädagogen.

Zudem schmückt die Skulptur eine Ausstellung, die sich einem aus heutiger Sicht eher dunklen Kapitel des Lutherschen Schaffens widmet – seinem Verhältnis zum Judentum. Unter dem Titel „Ertragen können wir sie nicht“ gibt die Schau auf großformatigen Tafeln Informationen zur Biografie Martin Luthers sowie einen Überblick über Luthers Äußerungen zu „den Juden“.

„In der Ausstellung werden Fragen gestellt, Zusammenhänge aufgezeigt, Denkanstöße gegeben, auf eindeutige Antworten wird jedoch bewusst verzichtet“, teilt Viola Berwig-Holtzhauer von der Gemeinde St. Sylvestri und Liebfrauen mit. Konzipiert wurde die Schau im Referat für Christlich-Jüdischen Dialog der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche. „Wir wollen den Betrachtern keine Richtigkeiten vorsetzen, sondern zum kritischen Denken anregen“, so Pastorin Hanna Lehming.

Ab Dienstag, 18. Juli, kann die Wanderausstellung dienstags bis sonntags in der Zeit von 14 bis 16 Uhr besichtigt werden. In der Sylvestrikirche bleibt sie bis Donnerstag, 17. August.