1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wernigerode
  6. >
  7. Dienstreise ins Glück für Ost-West-Paar

Mauerfall Dienstreise ins Glück für Ost-West-Paar

Der Mauerfall hatte ganz private Folgen. Ein Ost-West-Paar aus Wernigerode berichtet, welche Rolle seine unterschiedliche Herkunft spielt.

Von Karoline Klimek 08.11.2019, 23:01

Wernigerode l Gutes Essen, dazu ein Glas Wein und Zeit für Gespräche – mehr braucht es manchmal nicht, um den Beginn einer Liebesgeschichte zu schreiben. Anke Maria und Paul Gemeinhardt erinnern sich gern an die Anfänge ihres mittlerweile 20 Jahre andauernden Glücks zurück. Wie sie beruflich in die Toskana gereist sind und als Paar zurückkamen. Wie sie sich alles über ihre vorherigen Leben auf verschiedenen Seiten der Mauer erzählt haben. Wie sie Deutschland gemeinsam bereist haben und letztendlich in Wernigerode ihr Zuhause gefunden haben.

Die heute 54-Jährige wächst in Wismar an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns auf. Auch nach der Schulzeit bleibt sie in der Heimat, möchte als Kindergärtnerin arbeiten. Aber man lässt sie nicht. „Ich hatte eine Drei in Mathe und mir wurde gesagt, das sei zu schlecht, ich könne damit keine Kindergärterin werden“, erzählt sie. „Ich musste damals Pionierleiter lernen mit Lehrbefähigung in Deutscher Sprache und Körpererziehung.“ Gern blickt sie auf diesen Abschnitt in ihrem Lebenslauf nicht zurück.

Schon damals wehrt sie sich gegen viele Umstände im politischen System der DDR, zögert den Eintritt in die Sozialistische Einheitspartei (SED) so weit wie möglich hinaus. Mit Konsequenzen, wie Anke Maria Gemeinhardt erzählt: „Ich war hochschwanger, habe Mittagsschlaf gemacht. Und als ich aufgewacht bin, stand der fette Parteisekretär aus der Schule, ein richtig schmieriger Typ, vor mir. Er war einfach in die Wohnung gekommen, hatte sich an den Ofen gestellt und mich beobachtet.“ Sein Anliegen: Sie solle endlich in die Partei eintreten. „Ich habe mich zu Tode erschrocken, ich hatte richtig Angst und habe am ganzen Körper gezittert, als er weg war.“ Für ihr Recht auf Selbstbestimmung sei sie dennoch weiter eingetreten, habe in Folge eines Sitzstreiks sogar doch noch als Kindergärtnerin arbeiten dürfen.

Letztendlich war es das Ende der DDR, das den Grundstein für ihr heutiges Leben gelegt hat. Denn mit der Wende schließt die Werft, Kitas werden geschlossen, es gibt immer mehr Arbeitslose, auch ihr wird gekündigt. Doch für ihren kleinen Sohn muss sie stark bleiben. Da ihr Beruf nicht mehr anerkannt ist, lässt sie sich umschulen und wagt einen beruflichen Neuanfang. Als Hotelfachfrau fasst sie im Steigenberger Hotel in Wismar Fuß, zunächst im Service und an der Rezeption, später als Bankettleiterin. Und hier sollte sie auch ihren jetzigen Ehemann kennenlernen.

Paul Gemeinhardt entstammt einer Hoteliersfamilie. Der gebürtige Bayer wächst im unterfränkischen Aschaffenburg auf und lässt sich in Baden-Baden zum Hotelkaufmann und Restaurantfachmann ausbilden. Er baut sich ein Leben auf, heiratet, bekommt drei Söhne. Doch die Ehe scheitert. „Sie ging dann mit den Jungs nach Lübeck und ich bin natürlich hinterher gezogen“, erzählt er. 1998 landet er dann ebenfalls im Steigenberger Hotel in Wismar.

„Im ersten Jahr waren Anke Maria und ich einfach nur Kollegen. Wir waren stets per ‚Sie‘“, erzählt der 63-Jährige. „Ich bin in der Zeit nie auf die Idee gekommen, mit ihr am Abend zusammen wegzugehen. Schließlich habe ich noch in Lübeck gewohnt.“ Als die Hotelchefin dann jedoch über den Weinlieferanten des Hotels zu einer beruflichen Reise für zwei Personen in die Toskana einlädt, kommt der Stein ins Rollen. „Es stand bereits fest, dass ich als Restaurantleiter dabei sein muss. Ich sollte mir noch jemanden suchen, der mit mir mitfährt. Anke Maria war als Bankettleiterin für Veranstaltungen und Weinproben zuständig, und dann habe ich sie gefragt: ‚Haben Sie vielleicht Lust, mit mir eine Reise in die Toskana zu machen?‘“

Und so geht sie mit weiteren Gastronomen aus dem norddeutschen Raum auf große Fahrt. „Ein Vertreter des Weinhändlers hat Schilder mit unseren Vornamen ausgeteilt, die wir uns ankleben sollten. Auf so einer Reise duze man sich. Wir saßen im Bus nebeneinander und haben uns darauf eingelassen, zumindest auf der Fahrt ‚Du‘ zueinander zu sagen“, schmunzelt Paul Gemeinhardt.

Die einwöchige Fahrt führt über mehrere Stationen nach Norditalien. Beim gemeinsamen Abendessen kommen sich die beiden bereits am zweiten Abend näher, erzählen sich ihre ganze Lebensgeschichte. An Tag drei hat es dann endgültig gefunkt. „Es war irgendwie schön und romantisch, es sollte einfach so sein. Ein schönes Hotel, leckeres Essen, Rotwein – eben wie man sich das so vorstellt, sich in Italien zu verlieben“, schwärmt sie. „Wir sind als Kollegen hingefahren und als Liebespaar zurückgekommen.“

Die Beziehung hält auch dem Alltag stand. Wismar kehren sie bald den Rücken, reisen gemeinsam der Arbeit hinterher: in den Schwarzwald, nach Baden-Baden und in die Schweiz, wo sie sich am 24. Juli 2004 das Ja-Wort geben. Kurz darauf zieht es das Paar zurück nach Deutschland, sie wechseln von der aktiven Gastronomie in den Bildungssektor, um ihr Fachwissen in den Bereichen Hotellerie und Gastronomie weiterzugeben. Auf einem Urlaubstrip nach Wernigode reift der Gedanke, sich in der Harzstadt niederzulassen. 2008 wagen sie den Schritt, suchen vor Ort nach Arbeit und fangen als Dozenten an der Oskar-Kämmer-Schule an. Er wird später Beauftragter für Flüchtlingsangelegenheiten, ist zudem ehrenamtlich als Integrationslotse im Kreis unterwegs. Anke Maria Gemeinhardt hat sich dann doch noch ihren Traum erfüllen können und ist seit 2010 als anerkannte Erzieherin tätig.

Dass sie ein Ost-West-Pärchen sind, spiele in ihrem Alltag keine Rolle. „Ich mag diese Begriffe Ossi und Wessi sowieso nicht“, meint Paul Gemeinhardt. „Das ist 30 Jahre her, lassen wir es doch bitte einfach.“