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Medizin Gute Zahlen, aber nicht gut versorgt

Die ärztliche Versorgung ist in Wernigerode ein Dauerthema. Laut Bedarfsplanung sollte es jedoch keine Lücken geben.

Von Katrin Schröder 26.10.2017, 14:30

Wernigerode l Auf dem Papier ist alles gut. 107,8 Prozent Versorgungsgrad bei den Augenärzten, 112,9 Prozent bei den Hautärzten und gar 126,9 Prozent bei den Urologen – die Daten aus dem Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalt legen nahe, dass es in Wernigerode und im Harzkreis mehr als genug Fachärzte gibt. „Das glauben Sie aber nicht, weil Sie es anders erleben“, sagte Hendrik Straub, als er unlängst im Sozialausschuss über die ärztliche Versorgung referierte. Der Hausarzt, der eine Praxis in Derenburg betreibt, ist als Kreisstellensprecher der KV für den Altkreis Wernigerode zuständig.

100 bis 150 niedergelassene Ärzte gebe es demnach im Einzugsbereich, so Straub. Bei den Hausärzten habe sich die Versorgungslage im Lauf der vergangenen zehn Jahre verbessert. 2005 waren insgesamt 22 Hausärzte für knapp 36 000 Wernigeröder zuständig. 2015 sind es 25 Mediziner, die rund 33 000 Einwohner versorgen. Sorgen bereite eher der Blick auf die Altersstruktur bei den Kollegen. „Fast 20 Prozent sind 60 Jahre alt oder älter“, sagt Straub – allerdings gebe es Städte mit einem noch höherem Altersschnitt.

Zudem wäre bei den Allgemeinmedizinern in Wernigerode und Umgebung Luft nach oben. Der Versorgungsgrad liegt bei 87,7 Prozent, weshalb 4,5 Arztstellen zusätzlich besetzt werden könnten – damit wären 100 Prozent erreicht. Denkbar wären sogar bis zu zehn neue Arztstellen, erst bei einem Versorgungsgrad von 110 Prozent gilt eine Sperre.

Dies wäre bei den Fachärzten der Fall. „Da gibt es keine Chance, sich niederzulassen – außer in der Augenheilkunde, der Kinder- und Jugend­psychiatrie und bei den Rehabilitationsmedizinern“, sagt Holger Grüning, stellvertretender Vorsitzender der KV Sachsen-Anhalt und Frauenarzt in Wernigerode. Entscheidend sind die Zahlen, die in der Bedarfsplanung stehen. Diese basieren auf bundesweit geltenden Vorgaben. Die Richtlinien verfasst der Gemeinsame Bundesausschuss in Berlin. Dort sind niedergelassene Ärzte, Vertreter der Krankenkassen sowie unabhängige Mitglieder vertreten. Richtschnur ist ein angemessenes Verhältnis zwischen Einwohnerzahl und Zahl der Ärzte in einem bestimmten Einzugsbereich.

Dies sei in Wernigerode aber real nicht gegeben, betonte Brigitte Tannert im Sozialausschuss. „Katastrophal ist die Versorgung beim Hautarzt“, sagte die sachkundige Einwohnerin und verwies darauf, dass die Praxis in Wernigerode keine neuen Patienten aufnehme. „Das ist nicht optimal.“

Dabei ist die Zahl der Fachärzte der Statistik zufolge um 28 Prozent gestiegen, während die Einwohnerzahl um sieben Prozent zurückgegangen ist. Der Fehler liege im System, erklärt Holger Grüning. „Man hat nicht berücksichtigt, dass in Sachsen-Anhalt mehr ältere und kranke Menschen leben als im Bundesdurchschnitt.“ Zwar sei ein Demografiefaktor eingerechnet, doch damit werde der reale Bedarf nicht erfasst. Dafür fehle die gesetzliche Grundlage. Ebenso sei es bei den Finanzen. Die Krankenkassen in Sachsen-Anhalt erhalten über den Risikostrukturausgleich zusätzlich Geld, das aber nicht im benötigten Umfang weitergeben würde, so Grüning. Daher würden im Schnitt nur 82 Prozent der fachärztlichen Leistungen komplett bezahlt.

Bei der AOK Sachsen-Anhalt, der mitgliederstärksten Krankenversicherung im Land, sieht man einen weiteren Aspekt. Mancher reserviere nur einen Teil seiner Sprechstundenzeit für Kassenpatienten, behandle nur privat oder operiere lieber, werde aber trotzdem im Bedarfsplan geführt. „Wir können den Ärzten nicht vorschreiben, wie sie ihre Praxis zu führen haben“, sagt AOK-Sprecher Sascha Kirmeß. Bei gefragten Fachrichtungen wie dem Augenarzt sei es zudem schwierig, Stellen zu besetzen.

Bei den Hausärzten habe es jahrelang ein Nachwuchsproblem gegeben, so Grüning. Dies habe sich etwa durch mehr Förderung für Medizinstudenten entspannt. Notstand herrschte lange bei der Versorgung mit Psychotherapeuten. Hier habe sich die Lage verbessert, berichtet Hendrik Straub. Elf praktizieren im Altkreis Wernigerode, der Versorgungsgrad liegt bei knapp 110 Prozent.