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Naturschutz Werben für blühende Landschaften

Die Stadtverwaltung mäht manche Wiesen in Wernigerode bewusst nur einmal pro Jahr. Das ist manchen ein Dorn im Auge.

Von Katrin Schröder 21.07.2017, 01:01

Wernigerode l Einen Steinwurf von der Hasseröder Brauerei entfernt herrscht Natur pur. Die Schafgarbe zeigt am Straßenrand ihre weißen Blüten, der Hundszahn präsentiert sich in Gelb, lila blüht die Wiesen-Flockenblüte. Dazwischen wächst ungehindert hohes Gras – aus gutem Grund, sagt Frank Schmidt. „Auf Flächen wie dieser lassen wir die Blumen ausblühen und aussamen“, erklärt der Leiter des Wernigeröder Gartenamtes.

Rund 35 Prozent der städtischen Grünflächen werden extensiv gepflegt. Das bedeutet, dass dort nur einmal pro Jahr gemäht wird – bei intensiv gepflegten Grünanlagen ist dies im gleichen Zeitraum drei- bis viermal der Fall. Davon, dass Wildblumen ungehindert blühen dürfen, profitiert die hiesige Tierwelt, allen voran Insekten und Vögel. Auch Pflanzen, die für viele Menschen lediglich lästiges Unkraut sind, werden von manchen Tieren umschwärmt. „Manche Insekten sind zum Beispiel auf Brennnessel und Disteln fixiert und können sich von nichts anderem ernähren“, erklärt Frank Schmidt und fügt hinzu: „Auch der Distelfink hat seinen Namen nicht von ungefähr.“

Ein Segen sind die zusätzlichen Nahrungsquellen ebenso für die Bienen – sowohl für die von Imkern gehaltenen Honigbienen als auch für ihre wilden Artgenossen. Auf ihre Dienste bei der Bestäubung von Pflanzen ist der Mensch angewiesen, betont Schmidt. In Asien gebe es bereits Gegenden, wo Menschen wegen des akuten Bienensterbens in die Obstplantagen ausschwärmen, um aufwendig die Blüten per Hand zu bestäuben.

Daran erinnert Katrin Anders, im Wernigeröder Rathaus unter anderem für das Projekt „Stadtgrün“ zuständig. Die blühenden Landschaften im Stadtgebiet gehören zu den Bausteinen – darüber hinaus zum Beispiel die Kartierung der städtischen Grünflächen, die Pflege der Mühlgräben und die Schaffung von Naturerlebnissen für die Einwohner.

Die Blumenoasen liegen nicht nur im Gewerbegebiet Nord-West, sondern auch in der Holtemme-Aue, an der Schmatzfelder Straße, am ehemaligen Johannis- und Liebfrauenfriedhof sowie im Papental. Zwischen den Wohngebieten Harzblick und Charlottenlust hat das Gartenamt eine Streuobstwiese mit inzwischen rund 180 Patenschaftsbäumen geschaffen. Auch hier wachsen Blumen und Wildkräuter. „Das ist ein Paradies für Insekten. Wir haben hier die Obst- und die Wiesenblüte“, sagt Frank Schmidt. Dank der Blumenpracht haben die Tiere auch nach dem Ende der Obstbaumblüte noch genügend Nahrung. Ein zirka drei Meter breiter Streifen, der akkurat gemäht ist, trennt den Weg von der Wiese. „Damit wird deutlich, dass dieser Zustand gewollt ist“, sagt Gartenamtsleiter Schmidt.

Denn manchen ist das ungehinderte Wachstum ein Dorn im Auge. In der Stadtverwaltung gehen laufend Beschwerden ein. Frank Schmidt zitiert ein typisches Beispiel: „Wann wird denn endlich mal gemäht? Das ganze Unkraut fliegt bei uns aufs Grundstück!“ Damit müssen die Nachbarn wildblühender Wiesen leben, sagt Frank Schmidt. „Jeder findet Umweltschutz gut, aber nicht vor der eigenen Haustür.“ Er fordert mehr Toleranz für die wilde Flora und die Artenvielfalt. „Das ist ein Umdenkungsprozess, der in uns allen stattfinden muss“, sagt er.

Dabei ist es gar nicht so einfach, der Natur ihren Lauf zu lassen. Die Mahd ist aufwendig, das Schnittgut muss derzeit aufwendig abtransportiert und kostenpflichtig entsorgt werden. Das ist nicht optimal. „Ideal wäre eine Schafbeweidung – oder wenn wir jemanden fänden, der großflächig Heu machen möchte“, sagt Schmidt. Doch Schäfer haben Schwierigkeiten, ihre Tiere zu den potenziellen Weiden mitten in der Stadt zu führen, und die Agrargenossenschaften winken ebenfalls ab: Mit Großgeräten können sie auf den vereinzelten, relativ kleinen Flächen nicht arbeiten. Und für Biogasanlagen ist das Schnittgut zu mager. „Es wäre schön, wenn wir Bauern oder Kleintierhalter hätten, die das Material brauchen können“, so Katrin Anders.

Auf mageren Böden blühen Blumen besonders gern und schön – weshalb das Gartenamt inzwischen, anders als viele andere Städte, davon Abstand nimmt, seine Grünflächen zu mulchen. „Das ist zwar weniger Arbeitsaufwand, reichert aber den Boden zu stark an“, so die Rathausmitarbeiterin.

Nicht jede Grünfläche in der Stadt müsse zur blühenden Landschaft werden, sagt Frank Schmidt. Doch diese Oasen seien für die Tierwelt wichtig und würden bewusst von seinen Mitarbeitern erhalten. „Jeder von uns muss Zugeständnisse machen, Dass man mehr ,Unkraut‘ hacken muss, ist da nur ein kleines Opfer.“