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Recycling-Anlage Zu viel Blei im Glasabfall bei Reddeber?

Einwohner in Harz-Ort Reddeber schlagen Alarm: Laut einer Untersuchung enthält Glasmüll auf einer Deponie nahe ihrer Häuser sehr viel Blei.

Von Katrin Schröder 12.06.2020, 01:01

Reddeber l Die Schuttberge auf dem Areal im Gewerbegebiet Brockenblick sorgen weiterhin für Aufregung in Reddeber. Auf dem Gelände der Firma RtG (Recycling technischer Gläser) GmbH lagern große Mengen Glasmüll. Die Anwohner befürchten schon seit langem, dass von dem Material eine Gefahr ausgeht – und können dies erstmals mit Zahlen untermauern.

Der stellvertretende Ortsbürgermeister Karsten Lübbecke-Salaske (UWR) hat gemeinsam mit Michael Pätzel, Geschäftsführer der Dr. Ecklebe GmbH, Glasschutt aus dem Bereich des RtG-Firmengeländes in ein Labor geschickt und auf Schadstoffe untersuchen lassen. Das Ergebnis: Der Bleigehalt der Probe überstieg die Prüfwerte, die in der Bundes-Bodenschutz- und Altenlastenverordnung (BBodSchV) aufgeführt werden, ganz erheblich.

Der dort angegebene Wert für Industrie- und Gewerbegrundstücke werde beim Blei um mehr als das Achtfache überschritten, heißt es in dem Bericht des beauftragten Sachverständigenbüros in Fürth, der der Volksstimme vorliegt. Im Eluat, also in gelöstem Zustand, werde ein weiterer Prüfwert, der in der Verordnung für den Pfad Boden – Grundwasser angegeben wird, gar um das 28-fache überschritten.

Allerdings stelle ein solcher Prüfwert lediglich eine „Belastungsschwelle“ dar, heißt es zur Erklärung auf einer niedersächsischen Behördenwebsite zum Thema. Werde diese Schwelle erreicht oder überschritten, so signalisiere dies womöglich eine Gefahr. Ob diese wirklich bestehe, müsse dann aber in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden.

Angesichts der Ergebnisse warnen aber die Sachverständigen, die den Untersuchungsbericht zum Material aus Reddeber verfasst haben: Ein „direkter Kontakt mit dem am Standort vorhandenen Material“ sei „zu vermeiden“. Das gelte auch für Glasstaub: „Ein mögliches Auswehen von Partikeln in Staubform ist zu unterbinden.“ Die übrigen Untersuchungsergebnisse etwa für Arsen, Cadmium und Quecksilber überschreiten die Prüfwerte nicht.

Die hohen Bleikonzentrationen liegen Reddebers Ortsräten schwer im Magen. Ende April hat Karsten Lübbecke-Salaske eine E-Mail an das Gewerbeaufsichtsamt, die Harzer Kreisverwaltung und das Ordnungsamt der Stadt Wernigerode geschrieben. Darin fordert er die Behörden auf, „ihre Möglichkeiten zu nutzen, um diese Missstände endlich zu beheben“. Denn, so der Vize-Ortsbürgermeister: „Es darf nicht noch weitere Jahre dauern, in denen dort nichts passiert.“ Viele Reddeberaner sorgten sich seit langem um die Gefahren, die von dem Gelände ausgehen könnten, hätten aber nach jahrelangem Kampf resigniert, so Lübbecke-Salaske. Dass man das Problem angehen müsse, zeige der Bericht über die Untersuchungsergebnisse, den er beigefügt hatte.

Die angeschriebenen Behörden werden dies jedoch nicht tun. Weder das Wernigeröder Ordnungsamt noch das Umweltamt des Harzkreises oder die Gewerbeaufsicht seien zuständig, teilen die jeweiligen Pressestellen auf Volksstimme-Anfrage mit. Entsprechende Antworten erhielt auch Lübbecke-Salaske. Die Gewerbeaufsicht verweist darauf, dass dies der Einstellung des Geschäftsbetriebs bei RtG geschuldet sei. Und das Kreisumweltamt könne zwar den Zustand vor Ort nicht einschätzen, bemängelte aber, dass die zugesandten Untersuchungsergebnisse „nicht aussagefähig“ seien. Die Begründung: „Dass die Glasabfälle Blei enthalten, ist bekannt.“

Das weiß man auch im Landesverwaltungsamt, das für das Gelände verantwortlich zeichnet. Dort geht man jedoch davon aus, dass Blei, Strontium und Barium in den alten Bildröhren, die bei RtG aufgearbeitet werden sollten, keinen Schaden anrichten. Diese Auffassung hatte die Behörde auf Volksstimme-Anfrage bereits im März vertreten und bekräftigte dies nach Erhalt der Untersuchungsergebnisse erneut.

Zur Begründung heißt es, dass die potenziell schädlichen Stoffe „fest im Glas gebunden und für den Organismus nicht verfügbar“ seien, erklärt Sprecherin Gabriele Städter. Und weiter: „Von möglichen Gesundheitsgefährdungen für die Anwohner durch die auf dem Gelände lagernden Abfälle (vorwiegend Bleigläser) wird deshalb nicht ausgegangen.“

Den stellvertretenden Ortsbürgermeister überzeugt das nicht. Das Glas sei zwecks Aufarbeitung im Schredder zerkleinert worden, wobei Schadstoffe freigesetzt werden könnten. Es sei zumindest möglich, dass diese „mit Medien wie Sauerstoff, Wasser, Säuren und anderen Umwelteinflüssen reagieren“, schreibt Karsten Lübbecke-Salaske in seiner E-Mail. Als Staub könnten zudem kleine Partikel, sofern sie nicht berieselt werden, in die Umgebung geweht werden und sogar ins Grundwasser gelangen.

Dies befürchtet auch Michael Pätzel. Der Chef der Dr. Ecklebe GmbH, die gegenüber dem RtG-Areal ihren Hauptsitz hat, hat ebenfalls dem Landesverwaltungsamt und der Gewerbeaufsicht geschrieben. „Ich bin um die Gesundheit meiner Mitarbeiter besorgt“, so der Geschäftsführer. Er hatte deshalb eine Luftmessung veranlasst, die aber keine Belastung ergeben hatte. „Die Prüfer waren an einem einzigen Tag vor Ort, und gerade dann hat es nicht gestaubt“, so Pätzel.

Wenn es keine Gefährdung gäbe, „dann wäre eine Berieselung auch nicht nötig“, folgert Karsten Lübbecke-Salaske. Diese hatte das Landesverwaltungsamt bereits 2015 bei trockenem und windigen Wetter angeordnet. Der Grund dafür seien aber nicht mögliche Gefahren gewesen, so die Behörde. Es sei darum gegangen, „mögliche Staubbelästigungen der Nachbarschaft während des Betriebs zu minimieren“, erklärt Gabriele Städter. Der Transport und Umschlag des Glases habe den Staub verursacht. Da bei RtG nicht mehr gearbeitet werde, sei eine Berieselung folglich „nicht mehr erforderlich“, so die Sprecherin.

Laut ihrer Darstellung lagern die Glasabfälle „sowohl als lose Schüttung als auch in Big Bags verpackt, auf betonierten Flächen“. Dies sei laut Genehmigung zulässig. Eine Belastung von Boden und Abwasser durch RtG sei nicht bekannt. „Entsprechende Hinweise, der dafür zuständigen Behörden, sind bisher nicht eingegangen.“, so die Behördensprecherin. Bei einer Begehung im November seien „keine Aufälligkeiten festgestellt“ worden, teilte sie bereits Ende Februar mit .

Das kann Vize-Bürgermeister Lübbecke-Salaske nicht nachvollziehen. „Bis auf wenige Fahrwege“ sei das Areal „komplett mit Glasrückständen zugelagert“ – wie die anderen Ratsmitglieder vermutet er, dass dort immer noch mehr Abfall lagert als erlaubt. Weil 2013 und 2014 die Lagerkapazität erheblich überschritten wurde, hatte das Landesverwaltungsamt seinerzeit einen Anlieferstopp verhängt.

Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Die Betriebshalle sei seines Wissens nach nur noch „ein leerer Korpus“, aus dem alles Verwertbare entfernt wurde, sagt Karsten Lübbecke-Salaske. „Sogar die Waage ist demontiert und die verordnete Berieselungsanlage mittlerweile verschüttet.“ Die Big Bags befänden sich in Auflösung. Ordnungsgemäß seien einzig die Feuerlöscher im Eingangsbereich.

Einen Silberstreif am Horizont gibt es aber für die Anwohner: Das Landesverwaltungsamt plant, das Gelände teilweise zu beräumen und den Glasschutt zu entsorgen. Begonnen werden soll mit den am Produktionsgebäude aufgeschütteten Glasbergen. Bezahlt werden soll dies mit der Sicherheitsleistung, die RtG hinterlegen musste. Das insolvente Unternehmen hat angezeigt, dass es kein Geld habe, um den Abtransport und die Entsorgung des Glases zu bezahlen.

Voraussichtlich Ende Juni soll der entsprechende Auftrag ausgeschrieben werden, die nötigen Unterlagen lägen vor, teilt Gabriele Städter mit. Erst wenn das Verfahren zum Abschluss komme, könne man zum Zeitplan und zur Abfallmenge, die entsorgt werden könne, Auskunft geben. Das sei immerhin ein Anfang, sagen Michael Pätzel und Karsten Lübbecke-Salaske. Denn das Schlimmste, was passieren könne, sei, dass weiterhin nichts passiert. „Wir haben Angst, dass alles so bleibt und Gras darüber wächst“, so der stellvertretende Ortschef.