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Repair Café Letzte Hoffnung für Plattenspieler & Co.

Ein Zeichen gegen die Wegwerfkultur haben am Sonnabend viele Wernigeröder gesetzt und ihre Geräte beim Repair Café inspizieren lassen.

Von Julia Bruns 12.07.2016, 01:01

Wernigerode l Die Bilanz kann sich sehen lassen: 38 Geräte sind beim zweiten Repair Café in der Malzmühle inspiziert worden. 14 wurden repariert. „Und bei 13 Geräten haben unsere Experten Empfehlungen gegeben, wie sie wieder instand gesetzt werden können“, so Jeannette Israel-Schart. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Elke Gerlach hat die Hochschulmitarbeiterin das Repair Café ins Leben gerufen. Es soll eine Alternative in der Wegwerfgesellschaft bieten. Radios, Stereoanlagen, Lampen, Kaffeemaschinen, Videorekorder, Drucker und zwei Hochdrucksreiniger – die Palette an Geräten, mit denen die Menschen in das Studentencafé in Wernigerode pilgerten, ist abermals groß gewesen.

Christiane Braune aus Wernigerode hat ihren innig geliebten eBook-Reader mitgebracht. „Die Einschalttaste funktioniert nicht mehr“, sagt sie. Marius Faust sitzt über dem Reader, den er in seine Einzelteile zerlegt hat. Da liegen winzigste Schrauben, Kabel, ein Bildschirm: ein elektrisches Wirrwarr für ungeübte Augen. Faust studiert Wirtschaftsingenieurwesen. Schon seit seiner Jugend bastelt er gerne an Computern. An der Hochschule Harz engagiert er sich im Computerhilfedienst „Chip“. Bei dem eBook-Reader muss er mit dem Lötgerät ran. „Meine letzte Hoffnung“, sagt Christiane Braune. Doch die wird vorerst enttäuscht – sie muss ein Ersatzteil besorgen.

Am Platz daneben tüftelt Torsten Bauer an einem Laptop. Die Festplatte will nicht mehr. Nach 20 Minuten hat der Besitzer Gewissheit: Er muss ein neues Betriebssystem installieren. Torsten Braune hat eigentlich wenig mit der Hochschule am Hut. Er arbeitet für einen großen Computerhersteller, betreut sogenannte Migrationskunden, also Kunden, die wechseln wollen. „Mir macht das hier großen Spaß“, sagt er. „Wir haben nur einen Planeten und können nicht irgendwann umziehen, wenn dieser Planet vollgemüllt ist.“ Er ist zum ersten Mal als Experte an Bord. Als er vom ersten Repair Café erfahren hatte, „kitzelte es sofort“ in seinen Fingern. Auch bei der nächsten Ausgabe will er anderen helfen und Dinge vor dem Wegwerfen bewahren.

Martina Berger hat indes ihre Musikbox mitgebracht. „Die Schallplatte dreht sich nicht mehr“, sagt sie. „Ich repariere vieles selbst, aber seitdem ich mal eine gewischt bekommen habe, bin ich vorsichtiger.“ Sie arbeitet in der Kantine der Hochschule Harz und wurde dort ermutigt, mit dem Gerät in der Malzmühle vorbeizuschauen. Auffällig ist, dass ein festverklebtes Holzstück abgebrochen werden muss, um die Klappe zum Innenleben des Plattenspielers zu öffnen.

Solche eingebauten Hindernisse sind von den Herstellern teilweise gewollt, ist Jeannette Israel-Schart überzeugt. Auf die Idee für das Repair Café ist sie durch einen Vortrag des Wissenschaftlers und Autors Stefan Schridde gebracht worden. „Er hat erstmalig die sogenannte geplante Obsoleszenz, also das eingebaute Verfallsdatum bei technischen Geräten, untersucht und nachgewiesen“, so die Mitarbeiterin für Nachhaltigkeit und Umweltmanagement. Zum Nachhaltigkeitstag 2015 an der Hochschule Harz war Schridde zu Gast – und die Idee zum Repair Café in Wernigerode war geboren.

Auch am Sonnabend wird bei einigen Geräten deutlich, dass Hersteller extra Fehler einbauen. „Da sind hitzeempfindliche, kleine Teile an Stellen eingebaut, die regelmäßig heiß werden“, sagt Jeanette Israel-Schart. „Diese Teile könnten auch an anderer Stelle verbaut werden.“ Mit dem Lötgerät sei jedoch vieles schnell zu reparieren.

Einige Besucher vom Sonnabend werden bei der nächsten Ausgabe am 24. September wieder dabei sein. Dann findet das Repair Café erstmalig in den Räumen der Oskar Kämmer Schule in der Ilsenburger Straße statt. Leiter Ingolf Fölsch war über die Arbeitsgruppe „Fair Trade“ auf die Hochschule-Initiative aufmerksam geworden. „Wir freuen uns, wenn unsere Räume für so eine tolle Sache genutzt werden“, sagt er.