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Sabbatjahr Abenteuer mit Überraschungen

Ein Jahr lang Wernigerodes Stadtjugendpfleger Gernot Eisermann Auszeit von seinem Job genommen, um in die Türkei zu reisen.

Von Katrin Schröder 02.10.2017, 01:01

Wernigerode l Die Reise ins Abenteuer beginnt im Nieselregen. Gernot Eisermann hat gerade seine Taschen auf das Fahrrad gepackt, ließ sich aber nicht aufhalten. „Im Regen habe ich mich auf den Weg nach Hamburg gemacht“, erinnert sich der 37-Jährige an seinen Start. Wernigerodes Stadtjugendpfleger hat für ein Jahr eine Auszeit genommen, um die Türkei zu bereisen.

Den Aufenthalt hat der gebürtige Rheinländer lange vorbereitet. „Ich habe zwei türkische Kommilitonen und war mit ihnen bereits sechs-, siebenmal in Istanbul“, berichtet er. Nun wollte er mehr vom Land sehen. Sein Plan: Auf Bauernhöfen als Helfer arbeiten, Land und Leute kennenlernen und an den Sprachkenntnissen feilen, die er sich über ein Handy-Programm angeeignet hatte. Doch die Wirklichkeit hielt sich nicht an die Erwartungen. „Ich hatte mir vorher einen tollen Plan zurechtgelegt, aber das hat überhaupt nicht funktioniert.“

Abenteuerlich gestaltete sich schon die Anreise. Einfach den nächsten Flieger nehmen – das kam nicht in Frage. „Ich wollte eine exotischere Art zu reisen.“ Gernot Eisermann buchte einen Platz auf einem Containerschiff und radelte nach Hamburg. Bei der Ankunft im Hafen stellte sich heraus, dass er erst einen Monat später ablegen konnte. „In der Zwischenzeit habe ich eine Rundtour durch Schleswig-Holstein unternommen.“

Die zweiwöchige Schiffsreise über Antwerpen, Le Havre, Tanger und Malta hat er genossen. Er und der zweite Passagier durften alle Bereiche des mehr als 200 Meter langen Schiffs erkunden, inklusive Brücke und Maschinenraum. „Allein der Motor ist drei Etagen hoch.“ Kreuzfahrtgäste könnten neidisch werden, so der Wernigeröder. „Ich hatte zwei Kabinen mit vier Fenstern und jede Mahlzeit mit dem Kapitän.“ Lustig sei es mit der Crew gewesen – die Philipiner vertrieben sich die Abende mit Karaoke-Gesang.

In Avcilar ging Eisermann von Bord und fand Arbeit auf einem kleinen Hof nahe Canakkale im Westen der Türkei. „Dort werden organische Lebensmittel hergestellt“, berichtet er. Gegen Kost und Logis versorgte Eisermann Gänse, Hühner, Katzen und Hunde, backte Brot und packte Pakete für Kunden in der Stadt. Auf dem Feld gab es im Winter nichts zu tun. „Ich merkte aber, dass ich meine Sprachkenntnisse verbessern sollte.“ Mit anderen Freiwilligen begann er einen Kurs in Izmir. Einige Studenten teilten mit ihm ihr Vier-Bett-Zimmer und das wenige, was sie hatten.

Die Gastfreundschaft beeindruckte ihn. „Alle waren sehr freundlich und hilfsbereit“, berichtet Gernot Eisermann. Über Freunde, Bekannte und durch Zufall lernte er viele Menschen kennen, die ihn bewirteten, beherbergten und bei der Jobsuche halfen. Die politischen Umbrüche in der Türkei spürte er nur mittelbar. „Doch man redet weniger über Politik als früher, zumindest wenn man sich nicht so gut kennt.“ Unterwegs war er meist per Fernbus. „Das ist ein gutes System, relativ günstig. Aber es dauert lange“, so der Jugendpfleger. Alle paar Kilometer wurden die Reisenden kontrolliert. „Als einziger Ausländer war ich immer die interessanteste Person.“ Probleme hatte er jedoch nicht.

Nach mehreren Wochen Sprachunterricht brach Eisermann an die Schwarzmeerküste auf. „Dort stellte ich jedoch fest, dass ich den türkischen Winter unterschätzt hatte“, berichtet der Weltenbummler. Die Provinzhauptstadt Trabzon und ihre Umgebung waren komplett eingeschneit. An Arbeit auf dem Bauernhof war nicht zu denken, weshalb er nach Ankara weiter reiste.

Dort traf er im Hostel ganz unterschiedliche Leute – einen usbekischen Geschäftsmann, einen Chinesen, einen Iraner und einen afghanischen Flüchtling auf dem Weg nach Europa. „Das war eine bunte Truppe. Wir haben uns buchstäblich über Gott und die Welt unterhalten“, erinnert sich Eisermann, der dem Afghanen einige Illusionen über das Leben in Europa nahm. Die Flüchtlingskrise prägt das Leben in der Türkei. Dort befinden sich drei Millionen Menschen, die aus Krisengebieten geflüchtet sind.

Nahe Antalya fand Gernot Eisermann Arbeit auf dem Bauernhof einer französischen Familie, die einen Hain voller Orangenbäume besaß und neben der Landwirtschaft ein kleines Hotel betrieb. „Die Hühner sind mir überall hingefolgt, weil sie mitbekommen haben, dass dort, wo ich bin, die Erde umgegraben wird, und es frische Regenwürmer gibt.“ Selbst zum Strand begleiteten ihn die Federtiere.

Weil er nur über ein Touristenvisum verfügte, musste Eisermann nach drei Monaten die Türkei verlassen und wollte auf der Strecke des legendären Orient-Expresses reisen. „Leider verkehrt dieser Zug nicht mehr.“ Stattdessen reiste er etappenweise nach Bulgarien und über Ungarn, die Slowakei und Tschechien. Bis er wieder einreisen durfte, besuchte er Familie, Freunde und eine Fachkonferenz in Island. Im Sommer kehrte er auf den Bauernhof bei Canakkale zurück, half bei der Ernte, trennte Spreu vom Weizen. „Zwei ältere Damen aus dem Dorf kamen zu uns und kochten im Akkord in großen Kesseln Bulgur“, berichtet Eisermann. Die Menschen waren sehr angenehm, der Tagesrhythmus jedoch gewöhnungsbedürftig. Meist ging es spät los, ein Plan war kaum zu erkennen. „Da merkt man doch, dass man sehr deutsch ist“, sagt der Sozialpädagoge.

Seit Kurzem ist Gernot Eisermann zurück in Wernigerode, richtet sich wieder häuslich ein. „Ich freue mich, nicht mehr aus dem Rucksack zu leben“, sagt er. Mehr als vier Wochen blieb er nirgendwo, nun kann er wieder im eigenen Garten arbeiten. Ab sofort nimmt er seine Arbeit als Stadtjugendpfleger wieder auf. „Die Zeit ist sehr schnell vergangen“, sagt Gernot Eisermann. Das Reisen auf eigene Faust könne er nur empfehlen, auch wegen der Begegnung mit ganz unterschiedlichen Menschen. „Es hat großen Spaß gemacht, auch wenn es nicht immer einfach war.“