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Schmalspurbahnen Kostenexplosion bei Lok-Werkstatt im Harz

Die Kosten der gläsernen Werkstatt der Harzer Schmalspurbahnen (HSB) in Wernigerode steigen um vier auf 14,5 Millionen Euro.

Von Dennis Lotzmann 17.06.2020, 01:01

Wernigerode l Beim aktuell größten Projekt der HSB klemmt – zumindest finanziell – die Säge: Die veranschlagten Kosten für die gläserne Werkstatt, die auf dem Ochsenteich-Gelände in Wernigerode aus dem Boden wächst, sind seit dem Baustart im Herbst vorigen Jahres deutlich gestiegen. War im Oktober noch von insgesamt rund 10,5 Millionen Euro die Rede, müssen nunmehr wohl 14,5 Millionen Euro veranschlagt werden. Der Betrag ergibt sich, weil die HSB einen Kredit für das Großprojekt, für das keine Fördermittel fließen, von bislang acht auf zwölf Millionen Euro aufstocken will. Hinzu kommen jeweils 2,5 Millionen Euro flüssige Eigenmittel. Laut HSB laufen die Verhandlungen mit den Banken bereits. Und genau das sorgt unter den Gesellschaftern für Unmut.

„Die Information zu dieser geplanten Kreditaufstockung kam in der Gesellschafter-   versammlung so ein bissel überraschend um die Ecke“, so Ronald Fiebelkorn (CDU), Bürgermeister der Mitgesellschafter-Kommune Stadt Oberharz am Brocken und in Personalunion als Kreistagsab-  geordneter auch Mitglied im HSB-Aufsichtsrat. Ihm, so Fiebelkorn – von der Volksstimme mit der Thematik konfrontiert – missfalle weniger der Fakt, dass der Kreditbedarf wegen höherer Baukosten gestiegen ist, sondern die Art und Weise, wie das dem Gremium übermittelt worden sei. „Notfalls hätte man uns, als die Fakten klar waren, zu einer Sondersitzung zusammenrufen müssen.“

Die der Volksstimme bekannt gewordenen Fakten – von acht auf zwölf Millionen Euro gestiegener Kreditbedarf – bestätigt HSB-Sprecher Dirk Bahnsen. „Das Problem ist, dass zwischen den ersten Ideen für die gläserne Werkstatt im Jahr 2012, den dafür im Jahr 2015 veranschlagten Kosten und dem eigentlichen Baustart im Oktober 2019 ein sehr langer Zeitraum lag, in dem die Preise auf dem Bausektor leider erheblich gestiegen sind.“

Gleichwohl stellt sich die Frage: War jener Kostenanstieg nicht schon zum Baustart im Oktober 2019 absehbar? Schließlich ist die Tatsache, dass Deutschland in den vergangenen Jahren einen Bauboom und damit verbunden geradezu explodierende Preise erlebt hat, alles andere als eine Überraschung. Hätte es deshalb, wie Harzgerodes Bürgermeister Marcus Weise (CDU) als Mitgesellschafter auf Anfrage kritisiert, nicht vor dem Baustart im Herbst 2019 noch mal ein „Update der Baukosten geben müssen“?

Konkret: Im September 2019 sei gegenüber Gesellschafterversammlung und Aufsichtsrat kommuniziert worden, dass mit gewissen Kostensteigerungen zu rechnen ist. Allerdings seien die ersten Bauabschnitte noch im veranschlagten Rahmen geblieben. Erst im zweiten Abschnitt sei der Kostenaufwuchs deutlich gewesen. Darüber und über die zu erwartenden Mehrkosten seien Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung Mitte Dezember informiert worden. Weil sie zugestimmt und auch die Banken genickt hätten, seien die Aufträge vergeben worden.

Wobei aus Sicht von Bauexperten auch ein globales, theoretisches Kostenupdate – wie von Weise gefordert – alles andere als kompliziert gewesen wäre: Mit Blick auf die allgemeinen Baupreisentwicklungen und entsprechende Indizes wäre es demnach vergleichsweise leicht gewesen, die etwaige Kostenentwicklung zumindest abzuschätzen.

Das aber haben nach Information der Volksstimme weder HSB-Aufsichtsrat noch -Gesellschafter explizit abgefordert. Mit der Konsequenz, dass dieses Thema nun aufploppt. Zu einem Zeitpunkt, an dem es auch kein Zurück mehr geben dürfte, soll aus der gläsernen Werkstatt nicht eine millionenteure Investruine werden.

Verärgert ist über die gesamte Entwicklung nicht nur Stadtoberhaupt, Gesellschafter und Aufsichtsrat Ronald Fiebelkorn, sondern auch Landrat Martin Skiebe (CDU). Der Harzkreis ist mit 42 Prozent größter Gesellschafter der HSB und schießt folglich das meiste Geld zu. Nach der Verdoppelung der Zuschusspflicht von 50 auf 100 Prozent stehen allein für das Jahr 2020 rund 644 .00 Euro an Forderungen.

Gleichwohl bleibt die Reaktion des scheidenden Landrats – Skiebes Amtszeit endet im Herbst, er tritt nicht erneut zur Wahl an – vergleichsweise moderat. „Diese Entwicklung ist gewiss nicht schön, aber auch nicht ganz ungewöhnlich“, so der Christdemokrat auf Anfrage. Letztlich liege die nun bekannte Kostensteigerung im Rahmen des wohl üblichen Baukosten-Steigerungsindex.

Letztlich sei das Projekt der gläsernen Werkstatt mit dem Segen der verantwortlichen Gremien auf den Weg gebracht worden. Mit besagtem wirtschaftlichen Hintergedanken: Welche Arbeiten an den Dampfloks lassen sich selbst erledigen, um von der Dampflokschmiede im thüringischen Meinigen finanziell wie logistisch unabhängiger zu werden?

Skiebes Sicht klar: Er plädiert dafür, an dem Projekt festzuhalten und sieht die HSB-Geschäftsleitung gefordert, nachzujustieren. Ein Aspekt dabei: Lassen sich mit Blick auf die Kosten vielleicht doch noch Fördermittel finden und einsetzen?

Ein Aspekt, auf den auch Matthias Jendricke (SPD), Landrat im thüringischen Landkreis Nordhausen als Mitgesellschafter setzt. Verglichen mit anderen Gesellschaften, an denen der Kreis Nordhausen beteiligt ist, sei die HSB nach coronabedingter wochenlanger Zwangspause am stärksten gebeutelt.

Was Bahnsen bestätigt: Die zweimonatige Betriebspause von Mitte März bis Mitte Mai habe Einnahmeverluste in siebenstelliger Höhe verursacht. Auch jetzt lägen die Einnahmen bei sehr schwankendem Fahrgastaufkommen nur bei 50 Prozent des sonst jahreszeitlich üblichen Werts.

Deshalb ist Jendrickes Fazit klar: „Sachsen-Anhalt liebt die HSB, aber Liebe allein reicht hier nicht. Wenn Sachsen-Anhalt seine HSB liebt, sollte es der HSB jetzt einen kräftigen Schluck aus der Pulle gönnen“, so Jendricke. „Es muss einfach ein stärkeres finanzielles Engagement von Sachsen-Anhalt für die HSB geben.“ So wie in Thüringen. Das Dampflokwerk in Meiningen soll ebenfalls zur gläsernen Bahnwelt ausgebaut werden. Allein: Dort fließen in Summe rund 7,8 Millionen Euro öffentliche Mittel aus Tourismusförderung und Städtebauförderung.

„Die HSB-Werkstatt“, so Jendricke, „macht Sinn, um die Ressourcen vor Ort zu nutzen. Thüringen zeigt, wie es gehen kann. Mein Ziel ist es, dass wir über Ländergrenzen hinweg ein schlagkräftiges Bahnunternehmen haben“, so der SPD-Politiker.

Doch ließen sich jetzt überhaupt noch Fördermittel finden? Schließlich ist ein Baustart in aller Regel der Schlussstrich für Zuwendungen. Ungeachtet dieser Frage formuliert Harzgerodes Bürgermeister Weise eine andere: Die HSB wolle mit der Werkstatt ihre Wartungskosten senken. Laut Gutachten seien Investitionen bis 10,5 Millionen Euro noch wirtschaftlich. „Wenn die Investitionen nun auf 14,5 Millionen Euro steigen, muss die HSB-Geschäftsführung darstellen, dass das Projekt trotz des Kostenaufwuchs wirtschaftlich bleibt.“

Eine Forderung, die so schwer womöglich gar nicht realisierbar ist. Denn auch in der Dampflokschmiede Meiningen, erinnert Bahnsen, seien die Kosten in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Früher habe eine Dampflok-Revision eine halbe Million Euro gekostet, heute das Doppelte.

Auch Wernigerodes OB Peter Gaffert (parteilos) steht zum HSB-Projekt in seiner Stadt. Die Kostensteigerung sei fast erwartbar gewesen, der Aufsichtsrat stets informiert gewesen. „Es ist wichtig, dieses für die Bahn und unsere Stadt so wichtige Projekt schnellstmöglich fertigzustellen, um zukünftig die wirtschaftliche Situation der HSB zu verbessern“, so Gaffert.