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SchmalspurbahnenZentimeterarbeit für freie Fahrt zum Brocken

Die Harzer Schmalspurbahn dampft wieder auf den Brocken. Vor der Fahrt ist ein Kraftakt nötig, um die Strecke frei zu bekommen.

Von Dennis Lotzmann 17.01.2019, 00:01

Schierke l Manchmal muss man auch mal Glück haben: So wie am Mittwoch. Als Thomas Demuth, Florian Koppelin und Thomas Beyer an der Begegnungsstelle am Goethebahnhof von der Lok klettern und den Führerstand der Gleis-Schneefräse verlassen, ist ihre Aufgabe klar. Das Trio greift zu Schneeschiebern, Schippen und Besen, um die über Nacht völlig eingeschneite und zugewehte Weiche freizulegen. Ziel der Übung ist es nicht nur, die Weichenzunge gangbar zu machen, sondern der unterhalb der Stahlkonstruktion platzierten Gasheizung Luft zu verschaffen, damit sie durchzündet und Schnee und Eis sprichwörtlich einheizt.

Heute hat das Trio echt Glück. Es ist zum ersten Mal an diesem Morgen mit diesem Knochenjob gefordert. Und hat obendrein Unterstützung: Der Reporter der Volksstimme, der im ersten Leben als Reichsbahner selbst mal Gleisduft geschnuppert hat und heute den Fräseinsatz mit Stift und Kamera begleitet, schippt mit.

Der Schnee ist nass, schwer und stellenweise vereist. Zehn, 15 Minuten sind nötig, dann markiert aufsteigender Dampf, dass die Auftauautomatik angesprungen ist. „Wenn wir Pech haben und es bis runter nach Wernigerode geschneit hat, können es bis hier oben schon ein Dutzend Weichen sein, bei denen wir anpacken müssen“, überschlägt Thomas Beyer.

Heute also nicht. Heute kann es gleich technisch weitergehen. Tino Fügner oben auf dem Führerstand der V 100-Diesellok löst die Bremse und gibt dem bulligen Zwölfzylinder-Motor, der bislang im Hintergrund nur monoton getuckert hat, Stoff. Der Motor heult auf und die weinrote Lok rollt ins Ausweichgleis, die gelb lackierte Schneefräse am Haken.

Wenig später fliegen die Schneeflatschen nur so ins Gelände. Tino Fügner schiebt mit der 67 Tonnen schweren V 100 im Schrittempo die 23 Tonnen schwere Fräse zurück aufs Hauptgleis. Im Führerstand der Fräse sitzen Florian Koppelin und Thomas Beyer und dirigieren die rotierenden Fräswalzen. Sie können mit Joysticks in Höhe und Breite verstellt werden.

Gemessen von der Gleismitte können so bis zu 2,19 Meter in jeder Richtung freigemacht werden – in Summe also eine 4,38 Meter breite Schneise. Genügend seitliches Lichtraumprofil, damit anschließend reguläre Züge der Harzbahn hier entlang rollen können. Oft sind aber mehrere Fahrten nötig, um in Höhe und Breite den gesamten Schnee wegzufräsen.

Wie aufwändig und zeitraubend die Arbeit ist, wird wenig später oben auf dem Brockengipfel deutlich. Die dortigen Schneedimensionen – im Schnitt rund 1,35 Meter – fordern nicht nur von diesem Team alles ab. Während sich das Quartett von unten her auf der Strecke nach oben voran arbeitet, haben schon vor Stunden Kollegen oben im Brockenbahnhof damit begonnen, im Tiefkühlschrank auf rund 1125 Metern Höhe klar Schiff zu machen.

Das Ziel aller ist klar: Wenn es Wind und Schneefall zulassen, sollen Gleise und Bahnsteige soweit vom Schnee befreit werden, dass die Brockenbahn starten kann. Mit dieser Aufgabe ist das Fräs-Quartett gegen 7.15 Uhr am Westerntor-Bahnhof gestartet. Erst geht es durch das noch im Schlaf liegende Wernigerode, dann schraubt sich der Train mit der Fräse an der Spitze langsam durch den Harzwald empor. Vorn sitzen Florian Koppelin und Thomas Beyer. Irgendwann ist die Schneedecke soweit angewachsen, dass sie die Fräse absenken und der erste Schnee ins Gelände geschleudert wird.

Je weiter es hinauf geht, desto langsamer muss Tino Fügner schieben. Die Fräse darf mit dem schweren, nassen Schnee nicht überlastet werden. Stellenweise geht es nur im Schritttempo voran. Oben auf dem Berg sind immer wieder mehrere Fahrten – hin und her – nötig, um die „weißen Wände“ wegzuräumen.

An der Teufelskanzel türmen sich letztere gut zwei Meter hoch auf. An dieser Stelle war am Dienstag voriger Woche ein Brockenbahn-Zug mit Volldampf in eine Schneewehe gerauscht und steckengeblieben. Das Personal auf der Lok hatte im dichten Schneetreiben nur noch weiß gesehen und die Wehe nicht erkannt.

Die Lok und mehrere Waggons mussten in einem dreitägigen Kraftakt freigeschippt und -gefräst werden. Wenige Tage später – am Samstagnachmittag – war dann auf dem Gipfel schneebedingt eine Dampflok entgleist. Seither ruhte der Bahnbetrieb rauf zum Brocken. Orkan, Schneetreiben und eisiger Wind mit gefühlt bis zu 30 Grad unter dem Gefrierpunkt ließen jeden Gedanken an Zugfahrten schockgefrieren.

Nun also am Mittwochmorgen der neue Versuch, die Gleise befahrbar zu machen. Wie extrem die Bedingungen dort oben sind, wird mit jedem Meter deutlich. Die Signale wirken wie eingezuckert, Eis und Schnee machen die roten, grünen, gelben und weißen Signallichter fast unerkennbar. Tino Fügner muss immer wieder per Funk die Lokleitung kontaktieren und sich für jede Fahrt mündliche Befehle geben lassen. Abstimmung ist alles hier oben, Sicherheit hat absolute Priorität. Schließlich agieren zig Bahnmitarbeiter parallel.

Der 35-Jährige, der einst als Zimmermann ins Berufsleben gestartet ist, „aber schon immer zur Bahn wollte“, ist und bleibt der ruhige Pool. Einmal entlang an Bahnsteig eins mit der Fräse. Dann retour, damit der Gleisbagger rein kann, um die Schneeberge von den Bahnsteigen ins Gleis zu ziehen. Dann erneuter Einsatz des Schneefräs-Teams, um diesen Schnee rauszuschleudern.

Irgendwann gegen 10 Uhr entscheiden die Verantwortlichen oben am Bahnhof, dass es heute passen wird und der Zugbetrieb aufgenommen werden kann. Während Tino Fügner – in seiner Freizeit hat er sich übrigens dem Bau von Garteneisenbahnen im XXL-Format verschrieben – mit der Fräse im Schlepp langsam talwärts rollt, bekommt die erste Dampfbahn, die 9.40 Uhr in Wernigerode gestartet ist, das entscheidende Signal: Die Fahrt endet nicht in Schierke, sondern heute auf dem Harzer Gipfel. Die Schmalspurbahnen informieren täglich auf ihrer Internetseite, ob es bis hinauf geht.