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Sozialdemokratie 115 Jahre SPD in Wernigerode

Nach Tarnvereinen, Debattierklubs und Illegalität entstand 1900 der SPD-Ortsverein Wernigerode

Von Jörn Wegner 11.11.2015, 00:01

Wernigerode l Der Wernigeröder Ortsverein der ältesten Partei Deutschlands feiert heute seinen 115. Geburtstag. Am 11. November 1900 wurde der SPD-Verband Wernigerode gegründet.

Dennoch gibt es einen offiziellen SPD-Ortsverein nur rund 58 Jahre. Grund ist, dass die Partei während der NS-Diktatur von 1933 bis 1945 und von der Zwangsvereinigung mit der KPD 1946 bis zur Neugründung 1989 verboten war.

Bereits im Februar 1869 hatten sich Arbeiter dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV), einem Vorläufer der SPD, angeschlossen. Initiator war der Wernigeröder Zigarrenmacher Fritz Jungk. Die Struktur des ADAV kannte jedoch noch keinen Ortsverein: Jedes Mitglied unterstand direkt der Berliner Zentrale. Dem im Stadtarchiv befindlichen Mitgliederverzeichnis sind bis März 1869 174 Unterschriften zu entnehmen.

Die Existenz des ADAV in Wernigerode fand weder in der Presse noch in Dokumenten Erwähnung. Im Dezember 1872 versuchte der Zigarrenmacher Gustav Schmidt im Hasseröder Schützenhaus, den ADAV erneut zu etablieren. Die Versammlung endete, laut Polizeibericht, im Streit und Tumult. Mit dem sogenannten Sozialistengesetz 1878 wurden alle Organisationen der Sozialdemokratie, ihre Presse und die von ihr aufgebauten freien Gewerkschaften verboten. Um das Verbot zu umgehen, gründeten sich als Tarnorganisationen Arbeitergesangs- und Volksbildungsvereine, in denen politische Arbeit betrieben wurde.

Auf einer Versammlung am 25. Februar 1883 im Wernigeröder Schützenhaus sprach der Hutmacher und spätere Reichstagsabgeordnete August Heine aus Halberstadt, der sich zur sozialdemokratischen Führungsfigur nicht nur im Vorharz entwickelte. Zu dieser Zeit trat auch der 1882 aus Magdeburg zugezogene Maler Albert Bartels erstmals hier auf.

Im Jahr 1887 gründete sich der erste Arbeitergesangsverein in Hasserode unter dem Namen „Harmonia“. Das Gründungs-, Übungs- und Stammlokal war die „Neue Quelle“. Im Jahr 1889 wurde der Wernigeröder Arbeitergesangsverein „Liederbund“ gegründet, unter anderem von den Sozialdemokraten Wilhelm Niewerth, Ernst Kurzberg und Karl Husung – als Tarnung für ihre politische Arbeit.

Mit dem Ende des längst wirkungslosen „Sozialistengesetzes“ im Jahr 1890 waren legale sozialdemokratische Vereinigungen wieder möglich. Am 20. Dezember 1891 wurde der „Wernigeröder Volksbildungsverein“ neu gegründet. Das eingereichte Mitgliederverzeichnis umfasste 121 Wernigeröder, 44 Hasseröder und mit dem Steinhauer Conrad Müller einen Nöschenröder. Dieser Verein war der Vorläufer des am 3. März 1894 gebildeten „Sozialdemokratischen Diskutierklubs im Volksgarten“. Am 20. August 1893 war der Bau des „Volksgartens“ fertig gestellt. Das Lokal war Eigentum der SPD. Es war zugleich das erste der später zahlreichen „Volkshäuser“ der europäischen Sozialdemokratie.

Am 15. Juni 1894 gründete sich der Arbeiter-Turn-Verein „Vorwärts“. Solche Organisationen im Umfeld der SPD banden das Arbeitermilieu an die Sozialdemokratie und stärkten letztlich den Zusammenhalt. Die Wernigeröder Genossen konnten erstmals für den Reichstagswahlkreis Oschersleben-Halberstadt-Wernigerode für die Wahl 1898 den Kandidaten stellen. Die Kreiskonferenz am 19. September 1897 trug Albert Bartels die Kandidatur an – jedoch lehnte dieser ab. Die Wernigeröder Sozialdemokratie beteiligte sich im November 1897 erstmals an den Stadtverordnetenwahlen. Albert Bartels wurde als erster sozialdemokratischer Stadtverordneter gewählt.

Problematisch war nach wie vor die lose Parteiorganisation auf Kreis- und Gemeindeebene. Klärung schaffte der Mainzer Parteitag im September 1900. Daraufhin wurde auf einer Kreiskonferenz am 23. September 1900 in Halberstadt beschlossen, einen Kreisverein mit selbstständigen Ortsgruppen zu schaffen. Bis dahin gab es seit 1890 ein sozialdemokratisches Agitationskomitee des Wahlkreises Oschersleben-Halberstadt-Wernigerode. Das Amt des örtlichen Vertrauensmannes hatte in dieser Zeit für Wernigerode Wilhelm Niewerth inne. Am 11. November 1900, einem Sonntag, fand im Volksgarten die „öffentliche Versammlung der Zahlstelle Wernigerode des Sozialdemokratischen Wahlvereins für Halberstadt, Oschersleben, Wernigerode“ statt. Die Leitung des Ortsvereins übernahmen Albert Bartels, Karl Fricke und Karl Husung. Weiterhin sind die Namen folgender Gründungsmitglieder überliefert: Karl Auerswald, Wilhelm Böhme, Karl Brämer, Karl Fischer, Ernst Foltis, Friedrich Gerecke, Karl Gerloff, Friedrich Grimpe, Heinrich Groß, Gottlieb Hahne, August Herold, Ludwig Hertzer, Karl Hohmann, Karl Jonas, Karl Krüger, Ernst Kurzberg, August Mayhack, Wilhelm Niewerth, Christian Oberbeck, Gustav Richter, Albert Riemenschneider, Friedrich Schildknecht, Ferdinand Schubert und Hermann Spankow.