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Stadtbibliothek Kleine Spende, großer Frust

Wernigeröderin Angela Gorr wollte 100 Euro für bedürftige Bibliotheksnutzer spenden. Doch die Stadt hat ihre Spende abgelehnt.

Von Julia Bruns 13.10.2017, 01:01

Wernigerode l Eine kleine Spende, die für Aufregung sorgt: CDU-Stadtratsmitglied Angela Gorr hatte zehn Bedürftigen die neu eingeführten Bibliotheksgebühren bezahlen und ihnen so unter die Arme greifen wollen. 100 Euro wollte sie dafür von ihrem privaten Budget geben, kündigte sie in der Sitzung des Sozialausschusses in der Stadtbibliothek am Klint im August an. „Mit Erstaunen habe ich die Kritik an dem neuen Betrag registriert“, sagte die Politikerin, die als Vertretung für ihre Parteifreundin Cary Barner an der Sitzung teilgenommen hatte. Auf die Idee einer Spende sei sie spontan gekommen, daher habe sie das Geld nicht dabei. Sie versprach dem Leiter der Stadtbibliothek, Olaf Ahrens, es bald vorbeizubringen.

Falls die Spende nicht in Anspruch genommen werde, solle das Geld für die Kinderbibliothek verwendet werden, so ihr Wunsch. Als sie die 100 Euro wenige Tage später in einem Briefumschlag in der Bibliothek abgeben wollte, sei sie dann überrascht worden: Das Geld werde abgelehnt, dies sei eine Anweisung der Verwaltung.

„Ich will Sie nur kurz darüber informieren, dass die 100 Euro nicht angenommen wurden“, sagte Angela Gorr kurz darauf sichtlich gekränkt in der Sitzung des Kulturausschusses im September. Das kommentierte Christian Fischer, der neben ihr Platz genommen hatte. „Wir haben uns vor Kurzem in der Verwaltung darauf verständigt, drei Monate vor und drei Monate nach Bundestagswahlen keine Spenden mehr anzunehmen“, erläuterte der Dezernent für Gemeinwesen.

Die Spende sei auch problematisch, da sie mit dem Wunsch verbunden sei, die Identität der Bedürftigen zu erfahren, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es widerspreche dem Rechtsverständnis der Stadt Wernigerode, personenbezogene Daten von Bibliotheksnutzern an Dritte weiterzugeben, macht Verwaltungssprecher Tobias Kascha auf Volksstimme-Nachfrage deutlich.

Seit diesem Jahr müssen Nutzer der Bibliothek eine Jahresgebühr von zehn Euro entrichten. Härtefälle in diesem Sinne seien der Stadt nicht bekannt. „Es existiert eine Regelung für Sozialpassinhaber, die nur fünf Euro pro Jahr entrichten müssen. Dies sei bisher von 34 Nutzern in Anspruch genommen worden. Einige wenige Nutzer hätten „aus Prinzip“ ihren Leserausweis nicht verlängert, aber davon seien einzelne wieder zurückgekehrt.

Wie Tobias Kascha berichtet, habe Christian Fischer als zuständiger Dezernent Oberbürgermeister Peter Gaffert (parteilos) nach Angela Gorrs Vorstoß empfohlen, ihre Spende nicht anzunehmen. „Dieser Empfehlung ist der Oberbürgermeister gefolgt“, so der Rathaussprecher. „Ferner haben sich Oberbürgermeister und Dezernenten darauf verständigt, um auch zukünftig nicht den kleinsten Anschein einer politischen Einflussnahme und indirekten Unterstützung von Wahlkämpfen aufkommen zu lassen, Spenden von politischen Mandatsträgern oder Wahlbewerbern drei Monate vor einer Wahl zum Bundestag, Landtag oder dem Europäischen Parlamentes oder zu kommunalen Vertretungsorganen nicht anzunehmen.“

Für Angela Gorr sei es völlig verständlich, dass im Sinne des Neutralitätsgebots vor Wahlen keine Spenden mehr angenommen werden. „Es hat mich trotzdem tief gekränkt, dass ich nicht vom Oberbürgermeisterbüro über die Neuregelung informiert wurde, bevor ich mit meinem Umschlag zur Bibliothek gegangen bin“, so die CDU-Stadtverbandschefin. „Gutgläubig“ habe sie eine private Spende leisten wollen, um darauf aufmerksam zu machen, dass zehn Euro Gebühr an sich nicht viel Geld für die gebotene Leistung der Bibliothek seien. „Letztlich wäre das Geld der Kinderbücherei zugute gekommen“, vermutet sie. Das Geld habe sie nun anderweitig gespendet, unter anderem an die Sebastiansschützen.

Welche Spenden die Stadtverwaltung annimmt, regelt das Kommunalverfassungsgesetz. Der Stadtrat hat in der Hauptsatzung zusätzlich Wertgrenzen bestimmt: So entscheidet der Stadtrat lediglich über die Annahme von Spenden im Wert von über 12.000 Euro, der Hauptausschuss über Spenden von 1000 bis 12.000 Euro. Die Entscheidung über die Annahme von Spenden bis zu 1000 Euro obliegt dem Oberbürgermeister. Dieser entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen über die Annahme.

Unter anderem sei zu prüfen, ob durch die Annahme einer Spende Rechtsnormen verletzt werden könnten. „Die Annahme einer Spende der Landtagsabgeordneten Angela Gorr in unmittelbarerer Nähe zur Bundestagswahl kann mit der Neutralitätspflicht des Staates bei Wahlen und Abstimmungen kollidieren“, so Tobias Kascha. Die Neutralitätspflicht ergebe sich aus dem Demokratieprinzip sowie der Freiheit und Gleichheit der Wahl.

„Ich habe nicht für den Bundestag kandidiert“, so Angela Gorr. „Es war eine menschliche Reaktion, von meinem privaten Geld etwas abgeben zu wollen. Und ich glaube nicht, dass unsere Kandidatin Heike Brehmer wegen meiner kleinen Spende auch nur eine Stimme mehr bekommen hat.“