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Sturmschäden Orkan "Sabine" schüttelt den Harz durch

Orkantief Sabine hat Harz besonders in Wernigerode Schäden angerichtet. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk hatten alle Hände voll zu tun.

Von Dennis Lotzmann 10.02.2020, 20:13

Wernigerode l Schock am Sonntagabend in Wernigerode: Als Orkan Sabine seine volle Kraft entfaltet, hält ein rund 20 mal drei Meter großer Carport in der Straße Im Langen Schlage nicht mehr stand. Der Orkan, der laut Wetterdienst mit bis zu 140 Kilometern pro Stunde durch die Stadt faucht, hebt den Carport ab und lässt ihn wieder zu Boden krachen. Verletzt wird niemand, acht Autos werden beschädigt. Der Carport ist ein Beispiel von vielen. Orkantief Sabine sorgte für Sachschäden und gesperrte Straßen, doch die Region kommt mit einem blauen Auge davon.

Dafür kamen vor allem die Mitglieder der Feuerwehren in der Nacht kaum zur Ruhe. Allein die Wehren in und um Wernigerode rückten von Sonntag, 17 Uhr, bis Montag, 7 Uhr, gut 40 mal aus, so Vize-Stadtwehrleiter Marco Söchting. 83 Brandschützer aus Wernigerode, Benzingerode, Minsleben, Reddeber und Silstedt waren im Einsatz.

Im Hundertmorgenfeld hat der Sturm die Wand eines Mehrfamilienhauses eingerissen. Mieter, die den Schaden bemerkt hatten, riefen gegen 21.45 Uhr die Feuerwehr, die wiederum das Technische Hilfswerk (THW) Quedlinburg anforderte. 14 Helfer stützen die Wand mit einer zehn und einer fünf Meter hohen Holzkonstruktion, erklärt der THW-Ortsbeauftragte Lars Deuter. Neun Bewohner wurden evakuiert, konnten teils nach Mitternacht zurückkehren.

Zwei Urlauber kamen im HKK-Hotel unter, nachdem ein umstürzender Baum ihre Ferienwohnung in der Johannisstraße getroffen hatte. Im Reddeberweg in Minsleben deckte der Sturm ein Dach ab, in der Straße Am Ziegenberg brachten umgeknickte Bäume fünf Strommasten zu Fall, in der Harburgstraße fiel ein Baum in eine Freileitung. Im Wohngebiet Sonneck-Harzfriede schlug ein Baum auf ein unbewohntes Haus im Rohbau. Außer kaputten Dachziegeln und zertrümmerten Fenstern sei nicht viel passiert, so Christian Blumenthal, Geschäftsführer des Bauträgers Hauszeit. Ruhiger war es in Schierke. Vier Einsätze fuhren die Kameraden wegen umgestürzter Bäume. Einer fiel am Ortsausgang Drei Annen Hohne in Richtung Wernigerode auf ein Autodach. Verletzt wurde niemand.

Umgeknickte Bäume und abgelöste Ziegel: So sah laut Rathaussprecher Tobias Kascha das Gros der Schäden aus. Mitarbeiter des städtischen Bauhofs hätten am Montag Schäden aufgenommen und Gefahrenstellen gesichert. Das Schäferhaus und die Themengärten im Bürgerpark sind betroffen. Im Stadtwald seien mehrere Hundert Festmeter Windbruch zu verzeichnen.

Die Stadt warnt davor, Parks und Wälder zu betreten. Der Kurpark in Schierke und der Wernigeröder Lustgarten sind gesperrt, ebenso der städtische Friedhof, der am heutigen Dienstag geschlossen bleibt. Die Schierker Feuerstein-Arena blieb unbeschädigt, doch die Eisfläche am Montag gesperrt. Ob Dienstag und Mittwoch geöffnet werde, hänge von der Wetterlage ab, so Kascha.

Bis Montagmorgen gegen 7 Uhr hielt „Sabine“ die Feuerwehr in und um Blankenburg wach. 14 Mal wurden die Kameraden fast aller Ortswehren alarmiert, eilten von gerade beräumten Straßen zu Folgeeinsätzen weiter. „Wir waren mit rund 60 Kameraden und elf Fahrzeugen unterwegs – teilweise mehrfach“, berichtet Stadtwehrleiter Werner Greif.

Besonders getroffen hatte der Orkan die Kernstadt: In der Welfenstraße beschädigte ein umstürzender Baum ein Haus sowie eine Stromleitung. Zudem wurden die Bundesstraße 27 nach Hüttenrode und die Kreisstraße 1347 im Trecktal zwischen Heimburg und Elbingerode zeitweise gesperrt. Die Blankenburger Wehr besetzte eine eigene Einsatzzentrale, um Sturmschäden koordiniert abzuarbeiten, so Ortswehrleiter Alexander Beck.

23 Einsätze verzeichneten die Oberharz-Wehren. Wie Stadtwehrleiter Dirk Rieche berichtet, ging es vor allem um umgestürzte Bäume, die Straßen blockierten. In den zehn Ortsteilen wurden keine Schäden gemeldet. Gerüstet waren die Brandschützer dennoch: 127 Kameraden hielten sich am Sonntagabend in acht Gerätehäusern bereit.

Mit Blick auf den aufziehenden Orkan wurde am Sonntag das Personal der Leitstelle aufgestockt. Insgesamt wurden laut Manuel Slawig, Sprecher der Kreisverwaltung, bis Montagmorgen 182 Einsätze von Feuerwehren, THW und Kommunen gezählt. Meist sei es um technische Hilfeleistung wegen umgestürzter Bäume gegangen, hinzu kamen Einsätze wegen gerissener Freileitungen, abgedeckter Dächer oder loser Dachteile. Von Sonntagnachmittag bis Mitternacht hätten zwölf Straßen gesperrt werden müssen. In zwei Fällen sei es zu Unfällen gekommen.

Auf dem Brocken lagen die Windspitzen nach Volksstimme-Informationen bei etwa 200 Kilometer pro Stunde. Das Plateau war ab Sonntagmittag fast menschenleer. Die Harzer Schmalspurbahnen (HSB) gingen laut Sprecher Dirk Bahnsen auf Nummer sicher. „Wir sind am Sonntag um 12.21 Uhr mit dem letzten Zug talwärts gefahren und haben den Gipfel weitestgehend geräumt.“ Seit Sonntagnachmittag drehte sich auf dem HSB-Streckennetz kaum ein Rad. „Wir haben – bis auf den Abschnitt zwischen Nordhausen-Nord und Ilfeld-Neanderklinik – den Betrieb vorsorglich komplett eingestellt“, so Bahnsen.

Ab Dienstagmorgen, wenn die Böen laut Wetterdienst abflauen, wollen die HSB Erkundungsfahrten starten. „Wir werden uns mit Diesellok, zwei Reisezugwagen und Räumteams von Wernigerode aus langsam vorantasten und die Strecken auf Schäden und umgekippte Bäume prüfen.“ Dies sei von Gernrode aus für das Selketal und in Richtung Harzgerode geplant. Wann mit fahrplanmäßigem Betrieb zu rechnen sei, ließ Bahnsen offen. „Wir wissen, dass es in Wernigerode kaum Schäden gibt – was uns aber hinter der Steinernen Renne, bei Drei Annen Hohne oder rauf zum Brocken erwartet, weiß niemand.“

Das Brockenhotel schloss am Sonntag ebenfalls seine Türen. „Wir hatten in der Nacht zum Montag 18 Hausgäste – die haben wir aber alle erreichen und umbuchen können“, so Brockenwirt Daniel Steinhoff. Als Sonntagmittag die letzten Gäste abreisten, sei es auch für sein Team talwärts gegangen.

Wegen des Orkantiefs hat der Nationalpark Harz seine Besucherzentren in Torfhaus und auf dem Brocken sowie das Nationalparkhaus in Schierke, das Naturerlebniszentrum Hohnehof und die Rangerstation Scharfenstein am Montag geschlossen. Dies bleibe wohl noch am Dienstag so, sagte Nationalpark-Sprecher Friedhart Knolle. Alle Veranstaltungen und Führungen fallen aus. „Wir warnen dringend davor, aktuell und in den nächsten Tagen die Wälder zu betreten“, so Knolle. Viele Bäume seien vom Orkan angekippt und könnten beim kleinsten Windstoß fallen. Da der Nationalpark seine Mitarbeiter nicht in gefährliche Bereiche schicke, gebe es keine Angaben zu Schäden.

Den Betrieb des regionalen Bahnanbieters Abellio hat der Orkan nach Angaben von Unternehmenssprecher Matthias Neumann weniger hart getroffen als befürchtet. Da Züge wegen unabsehbarer Schäden und blockierter Gleise deutlich langsamer unterwegs waren, habe es erhebliche Verspätungen gegeben. „Regulär sind wir im Nordharzer Dieselnetz mit Tempo 120 unterwegs – am Montag haben wir auf 60 Kilometer pro Stunde runtergebremst“, so Neumann.

Die Harzer Verkehrsbetriebe (HVB) stellten bis Montag um 7 Uhr den Busverkehr komplett ein. Mittlerweile rollen die Busse wieder, teilt HVB-Betriebsleiter Bernd Franke mit. Auf einigen Linien, etwa nach Braunlage und Benneckenstein, sei womöglich noch mit Beeinträchtigungen oder Verspätungen zu rechnen.