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Tarifstreit Bus-Streik trifft Schülerverkehr im Harz hart

Nur jeder zehnte Bus fährt am Dienstagmorgen in und um Wernigerode. Hunderte Schüler kommen zu spät zum Unterricht.

22.05.2018, 18:07

Wernigerode (ru/mg/bfa/jmü/jni) l Kurz vor vier Uhr morgens. Am Werktor der Harzer Verkehsbetriebe (HVB) in Wernigerode steht eine Traube Menschen. Trotz Dunkelheit ist unschwer zu erkennen: Hier wird gestreikt. Kein Bus verlässt den Hof. Die Stadtlinie „201“, die schon seit 3 Uhr unterwegs ist, stoppt an der Haltstelle Zaunwiese. Lars Zimmermann stellt den Motor aus. Der HVB-Fahrer beteiligt sich mit 30 weiteren Kollegen am Dienstag am Warnstreik in Wernigerode.

Nach schläft die Stadt. 90 Minuten später sieht es anders aus. Am Westerntorbahnhof wartet Anja Schmidt vergebens auf einen Bus, der sie nach Hasserode zur Arbeit bringt. Sie ist den Tränen nah und sagt: „Den Gästen im Ferienpark ist es egal, ob hier gestreikt wird, sie möchten pünktlich ihr Frühstück.“ An Hauptbahnhof stehen Jugendliche, die zur Berufsschule nach Quedlinburg wollen. Als Tristen Vaeckenstedt und eine Mitschülerin aus Minsleben vom Totalausfall an diesem Morgen erfahren, wählen sie als Alternative den Zug. Das bedeutet, 30 Minuten zu spät zum Unterricht.

Christoph Ehlert beobachtet das Gespräch der Schüler, er versteht jedoch nichts. Der 33-Jährige ist gehörlos. Er schaut irritiert auf die große digitale Anzeigetafel am Servicebüro der HVB am Busbahnhof. Dort stehen die Abfahrtzeiten. Im Büro ist Mitarbeitein Kerstin Schlag pausenlos mit Telefonaten beschäftigt. „Viele Eltern informieren sich, ob die Busse fahren“, sagt sie. Helfen kann sie dem Gehörlosen nicht.

In den Schreibblock der Redakteurin notiert der Wernigeröder: „Muss nach Abbenrode zur Arbeit.“ Diese kann er mithilfe der Volksstimme wie gewohnt um 7 Uhr auf einem Reiterhof im Nordharzort antreten. Dort greifen Schüler zur Selbsthilfe. „Komm, meine Mutti fährt uns“, sagt die 14-jährige Jenny zu ihrer Freundin Lilly. Beide müssen nach Wernigerode zum Stadtfeld-Gymnasium.

Wer kein Eltern-Taxi hat, muss warten, bis der Streik vorbei ist. „Die Geoarbeit kann ich knicken“, stellt eine Neuntklässslerin in Stapelburg fest. Dort macht sich ein Schüler, der „die Faxen dicke hat“, tatsächlich zu Fuß auf den Weg. Wohin? „Nach Ilsenburg.“

An den Schulen in und um Wernigerode ist das Verständnis für Zuspätkommer an diesem Tag groß. „Das fällt nicht in die Verantwortung der Schüler, sie gelten als entschuldigt“, sagt beispielsweise Herbert Siedler, Direktor des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums.

Besonders stark betroffen: Die Sekundarschule Ilsenburg. Jungen und Mädchen aus Stapelburg treffen zum Teil erst zur vierten Stunde ein. Ebenso wie im Landschulheim Grovesmühle organisieren viele Eltern Fahrgemeinschaften.

Eltern helfen sich auch in Rübeland, Königshütte, Schierke und Elend. Spontan bringen sie ihre Kinder und deren Mitschüler zur Grundschule nach Elbingerode. Ein Drittel der knapp 130 Schüler des Oberharzortes sind von außerhalb.

In der Grundschule „An der Teufelsmauer“ registriert Schulleiterin Iris Scharder derweil keine Zuspätkommer. Dort ist ein Linienbus eines Subunternehmens. die sich nicht am Streik beteiligen, unterwegs.

Dagegen ist es zur ersten Stunde im Gymnasium „Am Thie“ in Blankenburg ungewohnt leer. Die Schüler, die auf den Bus angewiesen sind, kommen diesmal eine Stunde später. Laut Schulleiter Andreas Siemann betrifft dies rund 200 Mädchen und Jungen. „Das ist eben höhere Gewalt“, so Siemann. Die Fehlstunde wird bei allen deshalb als entschuldigt vermerkt.

Etwa 90 Prozent der Linienbusse, so die Schätzung der HVB und der Gewerkschaft auf Nachfrage, sind am Dienstag nach Pfingsten in der Zeit von 4 bis 7.45 Uhr ausgefallen. „Damit hat unserer Warnstreik sein Ziel erreicht“, sagt Andreas Reichstein, zuständiger Verdi-Gewerkschaftssekretär für den Verkehrsbereich in Sachsen-Anhalt. „Die Kollegen wollten den Linienverkehr kurzzeitig empfindlich treffen, aber nicht lahm legen.“

Wie Reichstein und Astrid Donath, Vertrauenssprecherin bei den HVB, weiter betonen, stehen die Verhandlungen für einen verbesserten Rahmentarifvertrag am 1. Juni bevor. „Wir wollen auf der Zielgeraden mit unseren Forderungen ernst genommen werden.“

In erster Linie geht es um die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich von derzeit 40 auf 38 Stunden sowie die Weiterentwicklung der Eingruppierungsregelungen und eine verbesserte Dienstplangestaltung. Letztere beutet zum Beispiel, dass bei Teilschichten mit Pausen die Standzeiten höher vergütet werden. Ebenso die Nachtzuschläge (von 20 auf 25 Euro).

All dies halte die Arbeitgeberseite „für nicht machbar“, wie Bjoern Smith auf Volksstimme-Nachfrage sagt. Dennoch, so der HVB-Geschäftsführer weiter, „sind wir gesprächsbereit“. Aus seiner Sicht seien die Forderungen für einen neuen Rahmentarifvertrag „überzogen“, weil sich mit dem Vergütungsabschluss bis 2019 „die Bedingungen erheblich verbessern“.

Verdi bleibt jedoch hart, ebenso die 108 Streikenden. Davon beteiligen sich laut der Gewerkschaft 31 HVB-Beschäftigte in Wernigerode am Arbeitsausstand. Dazu lassen am Dienstagmorgen Fahrer von kommunalen Bus- und Straßenbahnunternehmen in Halberstadt (25), Quedlinburg (30), Benneckenstein (11), Berßel (6) und Harzgerode (6) ihre Fahrzeuge stehen.