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Unwetter Tornado zieht Schneise durch Harzwald

Nach dem Unwetter im Oberharz und in Blankenburg gibt es Gewissheit. Tatsächlich hat ein Wirbelsturm gewütet - am Eggeröder Brunnen.

Von Holger Manigk 24.07.2019, 01:01

Elbingerode l Als Torsten Stein die ringförmig abgeschälten Baumstümpfe und die Schneise abgerissener Äste sieht, ist sich der Experte sicher: „Alles eindeutige Anzeichen für einen Tornado“, sagt der Unwetterbeobachter, nachdem er die Schäden des Gewitters vom Samstagabend in der Waldsiedlung Eggeröder Brunnen begutachtet hat.

Den kleinen Elbingeröder Ortsteil an der Goldbach-Quelle hat das Unwetter besonders hart getroffen. „Ich habe hier schon einige Stürme, auch Orkan Friederike, erlebt, aber so etwas noch nie“, berichtet Detlef Weinrich, der seit mehr als zehn Jahren in der Siedlung wohnt. „Gegen 20 Uhr am Sonnabend habe ich das unheimliche Summen gehört – wie 100 Bienenschwärme“, berichtet er. „Der Regen und der Wind kamen aus drei Richtungen, die Fenster meines Hauses waren sofort mit Blättern zugedeckt.“

Als der Spuk nach geschätzt zehn Sekunden vorbei war, offenbarte sich den Einwohnern der Siedlung das ganze Ausmaß der Verwüstung: „Wir liefen alle auf die Straße, um sicherzugehen, dass niemand verletzt ist.“ Nur floss ein Sturzbach über die Fahrbahn, die unter Bergen von Laub, Zweigen und Ästen verschwunden war – genau wie die Gärten.

„Einigen Häuser stand das Gestrüpp bis zum Dach“, so Weinrich. Mehrere Autos, Fenster und Dächer seien von umherwirbelndem Holz beschädigt worden. Schubkarren und eine Hollywood-Schaukel flogen meterweit. „Zum Glück wurde niemand verletzt“, sagt der Bewohner der beschaulichen Siedlung am Rande des Trecktals.

Nach dieser Zeugenaussage, die er minutiös in seinem Protokoll aufzeichnet, ist sich Torsten Stein sicher: „Wir müssen von Windgeschwindigkeiten von 150 bis 180 Kilometern pro Stunde ausgehen“, sagt der Bernburger. Seit 2010 ist der geprüfte Spotter für den Verein Skywarn unterwegs, der eng mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD) zusammen arbeitet. „Aber solch ein Schadensbild ist außergewöhnlich“, schätzt der regionale Ansprechpartner des Vereins für Nord-Anhalt und den Harz ein.

Als solcher hat der 43-Jährige Zugriff auf detaillierte Wetter-Karten vom DWD. „Das Radarbild zeigt für die fragliche Zeit viele kleine Rotationen und ein starkes Regengebiet, die von Königshütte über Elbingerode und Eggeröder Brunnen Richtung Blankenburg zogen“, erläutert der passionierte Wetterbeobachter. Als sie durch die Waldsiedlung raste, müsste die Windhose etwa zehn bis 20 Meter breit gewesen sein. Kurz vor dem Ort müsse die Trichterwolke „auf jeden Fall Bodenkontakt gehabt haben“, schätzt Stein. Eine „regelrecht rasierte Baumgruppe“ auf einer Anhöhe deute darauf hin.

Ein Großteil der Schäden am Eggeröder Brunnen liege jedoch in acht bis zehn Metern Höhe – Hinweise auf einen sogenannten Funnel, einen entstehenden Tornado, der den Erdboden noch nicht berührt hat. Für Elbingerode, wo die Gewitterzelle ebenfalls stark wütete und die Aufräumarbeiten am Alten- und Pflegeheim Bleichenkopf am Dienstag noch andauerten, geht der Unwetter-Experte dagegen nicht von einem Wirbelsturm aus. „Die herumliegenden Äste wurden gerade von den Bäumen abgerissen, nicht verdreht“, so Torsten Stein.

Stattdessen deuteten die Schäden auf einen 50 bis 80 Meter breiten Microburst hin – so nennen Meteorologen schwere Fallböen. „Diese Winde werden häufig mit Tornados verwechselt, können auch kleinräumig auftreten“, erläutert das Skywarn-Mitglied. Anhand der Schäden – einige herabgestürzte Dachziegel und abgerissene Äste von Bäumen – „schätze ich, dass die Geschwindigkeit bei rund 80 bis 110 Kilometern pro Stunde lag.“ In der Michaelsteiner Straße in Blankenburg seien wohl ebenfalls starke Gewitterböen die Ursache der Vegetationsschäden.

Die Ergebnisse seiner Untersuchung könnten vor allem für die Sturm-Geschädigten wertvoll sein, die auf Schadensersatz von ihren Versicherungen hoffen, so Spotter Stein. Bei dem Unwetter am Samstagabend waren mehr als 100 Feuerwehrleute aus Blankenburg und der Stadt Oberharz am Brocken im Einsatz. Die Brandschützer mussten an rund 30 Einsatzstellen Dächer reparieren und abgerissene Äste beseitigen – neun davon allein in Elbingerode. Wernigerode kam bei dem Gewitter glimpflich davon.