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Flüchtlinge Braucht es noch Integrationshilfe?

Rami Tarabolsi hat für das Wolmirstedter Integrationsbündnis gearbeitet. Nun ist seine Zeit abgelaufen.

Von Gudrun Billowie 27.05.2020, 01:01

Wolmirstedt l „Ich habe oft gesehen, wie Augen leuchten“, sagt Rami Tarabolsi, „das war meine schönste Bezahlung.“ Als Bundesfreiwilliger konnte er vor allem Syrern bei Behördengängen, Arztbesuchen oder im Krankenhaus beistehen, ihnen mit Übersetzungen helfen. Das gehörte zu seinen Bufdie-Aufgaben. Fast ein Jahr lang hat der 29-Jährige für das Integrationsbündnis gearbeitet. Nun ist seine Zeit um.

Christine Bauer hat ihn verabschiedet. Sie ist die Vorsitzende des Integrationsbündnisses und übernahm diese Aufgabe aufgrund der Corona-Abstandsregeln allein. Wie aber geht es mit dem Integrationsbündnis weiter? Wie weit ist es noch notwendig, bei der Integration zu helfen, inwieweit von Ehrenamtlichen machbar? Solche Fragen kann und will Christine Bauer derzeit nicht beantworten. „Das müssen wir in der Mitgliederversammlung besprechen.“

Im Integrationsbündnis haben sich vor fünf Jahren Menschen zusammengefunden, die Geflüchteten die Hand reichen wollten. Damals waren Unzählige nach Deutschland gekommen, wurden auf die Gemeinden verteilt, in der Wolmirstedter Schwimmbadstraße wurde ein Flüchtlingsheim eingerichtet. Viele Bürger wollten helfen und haben sich deshalb zum Bündnis zusammengeschlossen, später einen Verein gegründet. Jeder gab, was er geben konnte.

Manche häkelten Mützen, andere vermittelten die deutsche Sprache, begleiteten zu Ämtern oder halfen, Wohnungen mit dem Nötigsten auszustatten. Viele persönliche Beziehungen sind auf diese Weise entstanden. Als Anlaufpunkt für alle wurde das „Quasselcafé“ ins Leben gerufen, ein lockerer Donnerstagabend-Treff im Festsaal des Bürgerhauses. Und heute?

„Das Quasselcafé haben wir schon im Herbst aufgelöst“, erzählt Christine Bauer. Immer weniger seien gekommen. Das war zwar traurig, aber eigentlich als gutes Zeichen zu sehen. Es bedeutete, dass viele von denen, die 2015 gekommen waren, in Deutschland Fuß gefasst haben, in andere Städte weitergezogen sind, alleine zurechtkommen. Die ganz große Fremdheit ist bei vielen gewichen.

Christine Bauer und die anderen Mitstreiter des Integrationsbündnisses halten bis heute zu vielen Geflüchteten Kontakt und wissen: Arthur arbeitet im Versandhandel, Basem in einer Apotheke, ein anderer Rami ist nach Syrien zurückgekehrt, einige junge Männer haben sich zum Wirtschaftsinformatiker ausbilden lassen, Familien sind nachgekommen.

Auch Rami Tarabolsi hatte das Quasselcafé besucht, wollte Kontakt finden und so schnell wie möglich arbeiten. Aber aufgrund seiner Kriegsverletzungen sei ihm vieles nicht möglich gewesen. Die Bufdie-Stelle habe ihm gut getan. Insgesamt arbeiten derzeit 31 Bundesfreiwillige in Wolmirstedt, im Tierheim, auf Webers Hof, als Platzwarte, im Schrankeverein... „Bufdie“ Rami Tarabolsi hat offenbar Spuren gesetzt. Christine Bauer sagt: „Ich werde oft nach dir gefragt, die Leute schätzen dich.“ Jetzt sind es Rami Tarabolsis Augen, die leuchten.

Die Familie des jungen Mannes war mitten hineingeraten in den syrischen Krieg. Die Wucht einer Rakete hat Auge und Hand verletzt, die Spuren bleiben. 2015 sind sie geflüchtet, nur der Vater lebt noch in Syrien. „Wir haben ihn seit fünf Jahren nicht gesehen“, sagt Rami Tarabolsi, „wir telefonieren und wissen, das Leben ist für ihn immer noch schwer.“

Solche Schickale haben Christine Bauer und ihre Mitstreiter seit 2015 zuhauf gehört. Und viel begriffen. „Ich habe gelernt, genau hinzuhören“, sagt die Vereinsvorsitzende, „zu fragen, worum geht es wirklich, was braucht der andere, was ist das Thema.“

Und sie hat gelernt, die eigenen Gewissheiten zu hinterfragen. „Es ist wohl nicht immer gut, was wir für gut halten.“ Als sie zusammen mit einem Syrer ein Seniorenheim besuchte, habe er geweint. „In seiner Heimat gehören sie in die Familien.“

Befremdlich sei am Anfang das „Macho-Gehabe“ einiger junger Männer anderer Kulturen gewesen. Aber die Integrationsbündnisler haben zuhauf erlebt, wie die „starken“ Jungs auf dem Boden der Tatsachen landeten und sehr umgänglich wurden.

Macho-Gehabe scheint Rami Tarabolsi fremd zu sein. Wenn er es je hatte, dann ist es verflogen. Am Ende seiner Bufdie-Monate sitzt er im Familienzimmer des Bürgerhauses, das gleichzeitig sein Büro war, und hofft auf die Zukunft. „Ich möchte eine Ausbildung an der Fachschule für Sozialpädagogik beginnen.“ Noch fehlt die Anerkennung seines syrischen Abiturzeugnisses und vielleicht braucht er dafür noch einmal die Hilfe des Integrationsbündnisses. Für Christine Bauer und ihre Mitstreiter ist klar: Sie lassen niemanden hängen.