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Holocaust Hilde Hupperts Geschichte vom Zug

Eine Lesung zum Holocaustgedenktag fand im Museum Wolmirstedt statt. Zu hören waren die Geschichten von Zeitzeugen.

Von Gudrun Billowie 29.01.2019, 00:01

Wolmirstedt l „Heute sind so viele Menschen gekommen. Das zeigt mir, dass viele nicht wollen, dass die Geschichte des gestrandeten Zuges vergessen wird.“ Karin Petersen hat die Geschichte des Zuges aufgegriffen, will sie weiter in die Öffentlichkeit tragen, für jetzt und für spätere Generationen sichtbar machen. Mitstreiter gibt es. Im Gymnasium hat die Geschichtslehrerin die Arbeitsgruppe „Gestrandeter Zug“ ins Leben gerufen, im Museum wurde ein gleichnamiger Verein gegründet. Interesse zeigten auch die Museumsbesucher.

„Wir haben in gewisser Hinsicht eine Verantwortung, die Erinnerung wachzuhalten“, meint Marion Emmer. Johann Voß war aus Wefensleben gekommen, weil er das Thema Holocaust selbst literarisch aufbereitet. „Außerdem fühle ich mich wohl bei Leuten, die grunddemokratisch sind.“ Die Wolmirstedterin Judith Winkler findet es sehr traurig, dass das Thema bisher so wenig beachtet wurde. Sie hofft, dass viele Menschen das Ziel des Vereins unterstützen, eine Gedenkstätte zu errichten.

Das Denkmal soll zum 75. Jahrestag der Befreiung des Zuges in Farsleben eingeweiht werden, am 13. April 2020. Dieser Einweihung soll der Höhepunkt einer Gedenkwoche mit vielen Veranstaltungen sein. Im Museum soll es eine Sonderausstellung geben, in einer Broschüre soll Wissenswertes zusammengefasst werden. „Ein wichtiges Ziel ist es, den Opfern der nationalsozialistischen Diktatur den Namen, die Biografie und damit die Identität zurückzugeben.“

Damit wurde am Sonntag im Museum begonnen. Die Gymnasiasten Lilli Stephan und Sean Winkler lasen aus den autobiografischen Büchern von Hilde Huppert und ihrem damals neunjährigen Sohn Tommy.

Hilde Huppert hat ihre Geschichte des Zuges bereits im Juni 1945 aufgeschrieben, sie gilt als einer der ersten Zeitzeugenberichte. Sie beschreibt, wie über 2400 Menschen in Theresienstadt in einen Zug mit 23 Hängern, vorwiegend Viehwaggons, getrieben wurden, erzählt vom Befehl, den in Farsleben stehengebliebenen Zug in die Luft zu sprengen, von den SS-Leuten, die - bis auf drei - im Wald verschwanden, vom Kampfgetöse, das die ganze Nacht lang zu hören gewesen war, von den Amerikanern, die gegen zehn Uhr morgens in ihren Jeeps gefahren kamen, kurz darauf eine Feldküche aufbauten und nicht glauben konnten, was Hilde ihnen von Bergen-Belsen, Auschwitz und den Gaskammern erzählte.

Tommy, dessen voller Name Shmuel Thomas Huppert lautet, hat seine Erlebnisse in dem Buch „Hab ich Anne Frank gesehen?“ verarbeitet. Darin erinnert er sich an die Griessuppe mit Schokostückchen, die er in Hillersleben bekommen hatte. Dort und in Farsleben wurden die 2400 Juden betreut, nachdem sie den Zug verlassen hatten. Auch Thomas Huppert beschreibt, dass die Hillersleberin, bei der er untergekommen war, von Konzentrationslagern nichts hatte wissen wollen.

Die Geschichte des in Farsleben gestrandeten Zuges ist eine, in der es auch gute Enden gibt. Das zeigt ein Foto, das unmittelbar nach der Befreiung aufgenommen wurde, eine Menschengruppe, die froh in die Kamera lächelt. „Solche Bilder gibt es nicht oft“, sagt Karin Petersen, „Bilder, die sonst bei Lagerbefreiungen entstanden sind, waren andere.“

Die jüdischen Häftlinge des Zuges waren sogenannte Austauschhäftlinge, sollten später gegen internierte Deutsche im westlichen Ausland eingetauscht oder gegen Devisen verkauft werden. Deshalb hatten sie im KZ zunächst etwas bessere Lebensbedingungen.

Dennoch: Viele starben nach der Befreiung an Hunger und Typhus. Aber es fuhren auch über 500 Kinder im Zug. Sie sind es, die zum Teil noch heute als Überlebende von diesen Ereignissen berichten, deren Nachkommen die Spuren suchen. Deshalb soll das Mahnmal vor allem ein Gedenkort für die Lebenden werden.

Zur nächsten Veranstaltung am 13. April in Farsleben steht das Schicksal des Griechen Mimi Misrachi und seiner Familie im Mittelpunkt. Im Mai spricht Peter Lantos aus London im Gymnasium, im August Micha Tomkiewicz aus New York. Beide erlebten die Befreiung mit ihren Müttern.