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Integration Keiner fragt: He, woher kommst du?

Deutsche Sprache und Gewohnheiten werden Menschen aus anderen Ländern jeden Tag im Integrationskurs der Volkshochschule vermittelt.

Von Gudrun Billowie 14.04.2016, 01:01

Wolmirstedt l Im Klassenraum der Volkshochschule trifft sich die Welt. Jeden Tag lernen Männer und Frauen aus Syrien, Russland oder Rumänien die deutsche Sprache und die Gewohnheiten der hiesigen Bevölkerung kennen. Lehrerin Christine Kurzhals setzt dabei auf Englisch als Brücke und Spaß, der sich am Lehrplan orientiert. Sie hat selbst ein Jahr in Afrika gelebt und die englische Sprache deshalb so gut gelernt, weil sie mit dem Gesagten Gefühle verbindet. „Mit Gefühlen lässt sich viel besser lernen“, ist ihre Devise und deshalb wird viel gelacht.

Alex, Maria, Esmail und die anderen sind als Flüchtlinge gekommen, haben einen Aufenthaltstitel erhalten und sind bei der Ausländerbehörde erfasst. Die meisten leben seit mehreren Monaten hier. Im Kurs sitzen vor allem Syrer, die vor dem Krieg flohen, der ihr Land überrollt. Die Bilder zerbombter Städte sind aus dem Fernsehen bekannt.

Christine Kurzhals kennt auch die anderen Bilder, die vor dem Krieg aufgenommen wurden, Bilder, die die Männer und Frauen auf dem Smartphone konserviert haben, von den Häusern, den Familien, den Urlauben. „Viele haben ein gutes Leben geführt.“ Bis zum Krieg.

Seither habe sich in Syrien viel verändert, erzählen Maher und die anderen. Damit meinen sie nicht nur die Zerstörung, sondern auch das Verhältnis der Menschen sei anders geworden. Die Unbefangenheit sei verloren gegangen, viele Menschen haben Angehörige, Nachbarn, Freunde verloren. Um den Schmerz werde eine harte Schale gelegt, die Trauer im Innern eingeschlossen, weil das Überleben sonst wohl schwer möglich ist.

Vor fünf Jahren sei es in Syrien noch anders gewesen, das Zusammenleben war unbekümmert, so wie derzeit in Deutschland. „Wir empfinden die Menschen hier als sehr warmherzig“, sagt Esmail.

Außerdem sehen sie Deutschland als farbig an, die Natur als üppig, und sie haben festgestellt, dass die Frauen in ihrem Beruf, in der Freizeit sehr aktiv sind. Und: Sie tragen hier eben kein Kopftuch.

Alex, der aus Rumänien kommt, schätzt vor allem, dass es hier keine Korruption gibt. Der junge Mann arbeitet inzwischen als Ingenieur bei Enercon und fühlt sich anerkannt. „Ich werde nicht als Rumäne, sondern als Ingenieur behandelt“, sagt er. Noch fehlt ihm die deutsche Sprache, daran arbeitet er im Kurs. 630 Stunden werden sie unterrichtet. Ziel ist das B1-Niveau, das bedeutet, dass sich die Teilnehmer in den meisten alltäglichen Situationen verständigen können, sei es beim Einkaufen, im Bus oder beim Arzt.

Jeder, der im Ausland unterwegs ist, erkennt kulturelle Unterschieden, entdeckt andere Mentalitäten, Gewohnheiten, die für die jeweiligen Landsleute selbstverständlich sind und nur Außenstehenden auffallen. Wie aber ist es, nach Deutschland zu kommen, was fällt Menschen aus anderen Ländern hier neben der allgemeinen Warmherzigkeit auf?

Abd Al Rahman staunt, dass niemand hilft, wenn ältere Menschen schwere Taschen tragen. Auch schwangeren Frauen werde nicht zwingend ein Sitzplatz in der Bahn angeboten. Andere finden es seltsam, dass sie so wenig angesprochen werden. „Warum fragte keiner: He, woher kommst du?“, wundert sich Ali.

„Die Verwunderung kann ich gut nachvollziehen“, erzählt Christine Kurzhals, „als ich in Afrika war, wurde ich dauernd angesprochen, weil jeder gesehen hat, dass ich anders aussehe. Viele waren sehr interessiert.“ Ihr habe die Offenheit gefallen, die es erleichtert habe, Kontakte zu knüpfen. Syrer seien es zudem gewöhnt, dass Nachbarn regelmäßig an die Tür klopfen und sich gegenseitig besuchen. „Hier klopft keiner“, bedauert ein junger Mann.

Christine Kurzhals drängt, den Unterricht fortzusetzen. Das Verb „können“ ist dran.