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Keramik Engelhaar aus der Knoblauchpresse

Die Volksstimme testet die Freizeitmöglichkeiten, die es in Wolmirstedt gibt. Dieses Mal stand der Besuch bei einer Keramikgruppe an.

Von Gudrun Billowie 24.11.2016, 11:47

Wolmirstedt l Im Bürgerhaus gibt es vier Keramikgruppen. Alle sind voll, seit langem von „Stammtöpferinnen“ besetzt. Wer mittöpfern möchte, muss warten, bis jemand seinen Platz aufgibt. Das kann dauern. Jahre mitunter. Eine neue Gruppe zu gründen sei schwierig, da die Brennöfen fast rund um die Uhr ausgelastet sind. Aber eine Schnupperstunde ist möglich. Die Vorfreude auf ein erstes eigenes Werk kribbelt.

In der Töpferstube fertigen fünf Frauen Engel, Sterne und Wichtel. Weihnachten naht. Es juckt in den Fingern, aber die haben noch nie zielgerichtet mit Ton gearbeitet. Die Frauen fremdeln. Und jetzt?

Helga Sobitzkat erbarmt sich und bringt einen Klumpen Ton. Der muss geknetet oder derb auf den Tisch geklatscht werden. „Dann gehen die Luftblasen heraus“, erklärt sie. Das macht Spaß und beim Entlüften des Tons lässt sich wohl bei Bedarf wunderbar Wut abreagieren.

Langsam tauen auch die anderen Frauen auf. Sigrid Stürze zeigt ihren Engel und meint, das wäre ein gutes Anfängerstück. Oh ja, so ein hübscher Engel würde das Fensterbrett ungemein zieren. Nur Mut.

Mit einem Nudelholz wird der Ton ausgerollt, schön gleichmäßig und flach, so wie Teig beim Plätzchenbacken ausgerollt wird. Helga Sobitzkat bringt eine Schablone, einen Kreis, kleiner als eine Untertasse. Dieser Kreis wird aus dem Ton ausgeschnitten und am Radius entlang aufgeschlitzt. Soll das Engelskleid ein Muster bekommen? Na klar. Es soll der schönste Engel des Universums werden.

Monika Mathies wedelt mit einem Spitzendeckchen. Das wird auf den Tonkreis gelegt und mit dem Nudelholz darübergerollt. Das Muster drückt in den Ton. Der Ton-Kreis wird aufgenommen, zur Tüte zusammengefasst und die überstehenden Enden zu Flügeln nach außen gebogen. Wow. Auf dem Tisch steht kopflos, aber stolz der Körper des Engels.

Nun darf der Fast-Engel nicht mehr allzu oft berührt werden, Fingerdruckstellen würde ihn unschön verformen. Deshalb darf er auf einer Tortenplatte thronen, die dient als Töpferscheibenersatz.

Küchenutensilien scheinen bei den Töpferfrauen generell sehr beliebt zu sein. Mit Schaschlikspießen wird dem Kugelkopf ein Gesicht verpasst. Oh je, wie muss der Abstand der Augen sein, an welcher Stelle der Mund erscheinen? Das Gesicht soll hold wirken, so wie Engelsgesichter in den Weihnachtsliedern besungen werden. Müssen dafür die Augen eng oder nah beieinander liegen, der Mund offen oder geschlossen sein? Darüber lässt sich ewig grübeln, am besten ist wohl, den Schaschlikspieß beherzt in den Ton zu bohren. Auge, Auge, Mund. Die Nase wird später zur Kugel gerollt und mit Schlicker befestigt.

Die Frauen loben den Engel, freuen sich mit mir über das Erstlingswerk und plaudern in munterer Vorfreude, wem sie ihre Wichtel und Co. zu den kommenden Festtagen schenken. Besonders Gertrud Matalla freut sich auf das Gesicht des Schwiegersohns, der zum 50. Geburtstag einen tönernen Herren bekommt.

Meinem Engel fehlen noch Haare. Ich beginne, dünne Tonwürste zu rollen und stelle mich auf lange währende Handarbeit ein. Als Monika Mathies das mühsame Haarerollen bemerkt, reicht sie eine Knoblauchpresse herüber. Eine Tonkugel wird durch die Löcher gequetscht und verwandelt sich in graue Wurstrollen. Die werden Wurst für Wurst über den Engelskopf zur Frisur gelegt und endlich - mit Armen und Händen - sieht der Engel engelsgleich aus, so darf er in den Brennofen. „Kommen Sie in zwei Wochen wieder“, empfiehlt Monika Mathies, „dann können Sie den Engel glasieren.“

Zwei Wochen später. Wir „Töpfertanten“ freuen uns aufrichtig über das Wiedersehen. Der Engel hat im Brennofen seine Nase verloren, ansonsten hat er die „Hölle“ gut überstanden. Die Nase wird mit schwarzer Farbe gemalt. Dann folgt die Glasur. Wir beratschlagen, was hübscher ist: rot oder steingrau mit Glitzer. Mein Engel kriegt beides und muss erneut in den Ofen. Erst in zwei Wochen soll er endgültig fertig sein. Deshalb wird auf dem Foto ein anderer Engel gezeigt.

Zehn Euro bezahlen die Frauen im Monat, das Material bestellen sie selber. Und es ist sehr bedauerlich, dass in der Gruppe kein Platz mehr frei ist.