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Literatur Die Märchenoma von Barleben

Die Barleberin Roswitha Kus kombinierte vor nunmehr elf Jahren zwei ihrer Leidenschaften: ihre Kinderliebe und ihre Liebe zum Buch.

Von Rudi-Michael Wienecke 11.10.2017, 01:01

Barleben l „Hallo, Frau Kus“, wird Roswitha Kus gleich mehrfach begrüßt, wenn sie durch Barleben schlendert. In der Regel sind es Kinder, welche die 71-Jährige als Märchen-oma kennen. Jeden letzten Donnerstag im Monat in der Bibliothek und alle zwei Wochen in der evangelischen Kindereinrichtung „Gut Arnstedt“ nimmt die symphatische Rentnerin Jungen und Mädchen mit auf die Reise in das Märchenland. Darin vereint sie zwei ihrer Passionen, die für die Bücher und ihre Liebe zu Kindern.

Gern hätte sie auch beruflich mit den Jüngsten zu tun gehabt. Diese Tore blieben der gläubigen Katholikin zu DDR-Zeiten aber verschlossen. Christliche Erziehung war geduldet, aber nicht erwünscht. So entschied sie sich 2006, nachdem sie in Rente gegangen war, für die ehrenamtliche Arbeit mit dem Nachwuchs und sie glaubte, mit offenen Armen begrüßt zu werden.

Märchenomas wurden seinerzeit in Barleben aber nicht benötigt, teilte man ihr damals von höchster kommunaler Stelle mit. Dass sich lokale Politiker irren können, stellte sich schnell heraus, denn sowohl in der Bibliothek als auch in der christlichen Tagesstätte oder auf Weihnachtsmärkten ist die Märchenoma mittlerweile eine Institution. 40 bis 50 Mal pro Jahr schlägt sie eines ihrer vielen Bücher auf und die Kinder hören gespannt zu.

Im Laufe der Jahre lernte Roswitha Kus so die Vorlieben ihres jungen Publikums kennen, die mit den ihrigen deckungsgleich sind. Weniger gefragt sind die russischen Märchen, oft schon auf Grund ihrer Länge. Verlangt werden nach wie vor die deutschen Klassiker, die schon die Eltern, Großeltern oder auch Urgroßeltern vor dem Einschlafen hörten.

„Hänsel und Gretel“ stehen ganz oben auf der Hitliste. „Da geht es um die Geschwisterliebe“, begründet die begnadete Vorleserin. Auch „Der Wolf und die sieben Geislein“ werde oft verlangt, schließlich dreht sich in diesem Stück alles um die Mutterliebe. Ansonsten würden sich die Geschmäcker von Jungen und Mädchen unterscheiden. Während sich die heranwachsende Damenwelt eher für wachgeküsste Prinzessinnen interessiert, würden die jungen Herren lieber etwas von gefräßigen Wölfen hören, die hinterher mit aufgeschnittenem Bauch enden.

Dass es in den Märchen schon mal brutal zugeht, sei dabei kein Problem. Ab und zu weicht die Märchenoma aber schließlich doch von den Urfassungen der Gebrüder Grimm und Co ab. Wenn beispielsweise die böse Stiefmutter von Schnewittchen Leber und Lunge des Mädchens verlange, verschweigt Roswitha Kus dies dann doch diskret.

Trotz reichlich filmischer Märchenangebote sei das Vorlesen bei den Steppkes nach wie vor beliebt, konnte die engagierte Barleberin feststellen. „Wichtig ist, dass ich den Kindern auch viele dazugehörige Bilder zeigen kann.“ Ist beispielsweise von sieben Zwergen die Rede, werden die nämlich gezählt und dass Rotkäppchen keine blaue Zipfelmütze trägt, kann die Märchenoma auch per Bild beweisen.

Welches „Es war einmal...“ sie hören möchten, entscheiden Jungen und Mädchen übrigens im Wechsel. Gibt es auch da keine Einigkeit, lässt die Märchenoma abstimmen. Später werden die Kinder lernen, dass so etwas Demokratie genannt wird. Das ist aber wieder eine andere Geschichte.