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Selbsthilfegruppe Wenn Sehen nicht mehr selbstverständlich ist

Beate Kahnt gehört zur Wolmirstedter Selbsthilfegruppe des Blinden- und Sehbehindertenverbandes.

Von Gudrun Billowie 11.03.2017, 00:01

Wolmirstedt l Ein Schlaganfall veränderte das Leben von Beate Kahnt. Von einem Tag zum nächsten war die Buchhändlerin auf einem Auge blind. Sie landete in einem Tal, doch das ist längst durchschritten. Beim Weg zurück ins Leben begleiteten die Mitglieder der Wolmirstedter Selbsthilfegruppe des Blinden- und Sehbehindertenverbandes.

Die treffen sich einmal im Monat in der Begegnungsstätte der Volkssolidarität in der Burgstraße unter der Leitung von Siegfried Krüger. Beate Kahnt lädt ein: Die Gruppe steht nicht allein den Blinden offen, sondern allen, die nicht mehr gut sehen können sowie deren Begleitern.

Schon wer auf einem Auge nichts mehr sehen kann, ist im Alltag eingeschränkt. Das Leben lässt sich trotzdem gut und selbst bewältigen, dafür gibt es Helferlein. „Viele Hilfsmittel habe ich durch die Gruppenmitglieder kennengelernt“, sagt die 56-Jährige.

Sie weiß es längst: Selbst blinde Menschen können backen oder kochen. Die Zutaten für den Sonntagskuchen lassen sich über eine sprechende Waage abmessen. Die Farbe der Kleidungsstücke nennt eine Farberkennungs-App des Smartphones.

Auch das Bezahlen an der Kasse ist vielen Blinden möglich. „Sie fühlen die Ränder der Geldstücke“, erzählt Beate Kahnt, „jeder Rand ist anders geriffelt.“

Vor allem sei es wichtig, sich nicht zu verkriechen. „Es ist wichtig für die Psyche, dass man Freunde und Kontakte hat.“ Beate Kahnt schätzt vor allem die Unternehmungen der Selbsthilfegruppe. Besonders gern erinnert sie sich an eine Schiffstour auf dem Mittellandkanal.

Die erleben Menschen, deren Sehkraft eingeschränkt ist, anders, aber nicht weniger intensiv. Das Schaukeln des Schiffes lasse sich gut spüren. Zudem sei es sehr angenehm, wenn jemand nebenher davon erzählt, was sich links und rechts des Ufers abspielt, ob Traktoren fahren oder Kühe weiden.

Viele finden dazu Bilder in ihrem Kopf, weil sie nicht von Geburt an blind waren, sondern erst im Laufe der Zeit ihr Augenlicht verloren haben, manche schleichend, andere spontan. Die Ursachen sind vielfältig, manchmal genügt ein Zeckenbiss.

„Als ich auf einem Auge blind wurde, war ich sicher, wenn es auch das andere Auge trifft, will ich nicht mehr leben“, erinnert sich Beate Kahnt. Der Lebensmut ist längst zurückgekehrt. „Es braucht eine Zeit, um mit der Krankheit fertig zu werden.“

Besonders in der Selbsthilfegruppe hat sie gesehen, dass sich Leben immer lohnt. Nur manchmal tauchen Fragen auf nach dem Warum. Die schiebt sie längst beiseite. „Das zieht mich nur herunter.“

Den Weg zu den monatlichen Treffen muss jeder selbst gehen. Für manche ist das ein Problem. Besonders Dorfbewohner scheuen den Weg nach Wolmirstedt. Zwar fahren Busse und Züge, doch die lassen sich nicht immer gut benutzen.

Beate Kahnt hat selbst erlebt, wie schwierig es ist, aus einer S-Bahn auszusteigen. „Der Schlitz zwischen Zug und Bahnsteig ist oft so groß, dass Sehbehinderte Gefahr laufen, dort mit dem Fuß hereinzurutschen und zu stürzen.“ Zwar gebe es bereits Waggons, deren Trittfläche bis auf den Bahnsteig reicht, doch bisher viel zu wenige.

Besonders übel zeigt sich in Wolmirstedt der Bahnhofstunnel. Beate Kahnt weiß von Blinden, die im Wasser standen. Wie üblich tasteten sie sich in unbekanntem Terrain an der Wand entlang, verfehlten dabei den erhöhten Holzbohlenweg und landen auf dem Betonfußboden, der oft von Wasser überflutet ist.

Auch wegen solcher Schwierigkeiten sei es wichtig, ein stabiles soziales Netzwerk zu pflegen. „Nachbarschaftshilfe ist wichtig“, sagt Beate Kahnt. So können Fahrgemeinschaften entstehen oder es findet sich jemand, der mal eine halbe Stunde mit spazieren geht. „Viele Sehbehinderte mögen nicht alleine aus dem Haus gehen“, sagt Beate Kahnt.

Sie selbst ist oft und gerne unterwegs. Die Liebe zu Büchern ist geblieben, deshalb besucht die Zielitzerin oft Veranstaltungen in der ortseigenen Bibliothek. Auch in der Familie ist sie oft gefordert, holt ihr Enkelmädchen regelmäßig aus der Kita „Storchennest“ ab.

Und auf den nächsten Sommerausflug mit der Selbsthilfegruppe freut sie sich besonders. Der führt nach Salzwedel, in die Stadt der Baumkuchen.

Wer die Selbsthilfegruppe besuchen möchte, kann sich bei Siegfried Krüger unter der Telefonnummer 039201/294 23 anmelden.