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Pendler Nomaden zwischen Heimat und Job

Tag für Tag pendeln zahlreiche Arbeitnehmer zur Arbeit. Auch den Landkreis Anhalt-Bitterfeld verlassen viele.

Von Katrin Wurm 05.10.2015, 17:34

Zerbst l Wenn Henry Böttcher morgens aufwacht, sieht er den Magdeburger Dom. In seinem Pass steht als Heimatadresse eine Magdeburger Anschrift. Und trotzdem verbringt der 37-Jährige die meiste Zeit in Zerbst. Er pendelt jeden Tag von der großen Landeshauptstadt ins beschauliche Nuthestädtchen. „Das macht mir nix aus“, sagt er selbstbewusst. Der Elektrotechnikingenieur hat in Zerbst seinen Traumjob ergattert. Er ist Abteilungsleiter bei KD Elektroniksysteme. „Für diese spannende Arbeit pendle ich gern.“ Damit gehört er zu den 15 678 Männern und Frauen, die zum Arbeiten in den Landkreis Anhalt-Bitterfeld kommen. Diese Zahlen veröffentlichte kürzlich die Agentur für Arbeit Dessau-Roßlau-Wittenberg. 63 Prozent davon sind männlich und 37 Prozent weiblich. Die meisten von ihnen kommen aus Dessau-Roßlau, dem Landkreis Wittenberg oder aus dem Saalekreis.

Als Pendler nimmt Böttcher täglich eine teilweise langwierige Fahrt über die B 184 in Kauf: „Meine Fahrtstrecke zwischen Magdeburg und Zerbst beträgt etwa 46 Kilometer, wofür ich meist 45 bis 50 Minuten benötige. Die längste Fahrzeit dauerte über 1,5 Stunden wegen eines Unfalls auf der B 184“, so Böttcher.

Doch trotz aller Fahrerei, den gelegentlichen Staus und den fast zwei Stunden Fahrtweg jeden Tag ist Henry Böttcher mit seiner Situation zufrieden: „Aufgrund der Gleitzeitregelung kann ich meine Arbeitszeit in Grenzen frei gestalten. Feste Abfahrtzeiten und öffentliche Verkehrsmittel würden mich hier einschränken. Auch die ‚Tür zu Tür‘-Zeit wäre deutlich höher. Daher gibt es zum Auto für mich keine Alternative“, sagt er.

Viele kommen jeden Tag zum Arbeiten in den Landkreis. Doch noch mehr – nämlich 23 435 Arbeitnehmer – verlassen den Landkreis, um ihrer Arbeit nachzugehen. Davon sind 13 766 Männer und 9669 Frauen. Von ihnen pendeln täglich 5277 nach Dessau-Roßlau, 3027 nach Halle an der Saale und 2258 in den Saalekreis. Zu ihnen gehört auch Torsten Hybotter aus Steutz. Er arbeitet als Stationsleiter auf einer Psychiatrisch/Psychosomatischen Station am St. Joseph Krankenhaus in Dessau. „Ich pendele seit etwa fünf Jahren täglich nach Dessau. Davor bin ich elf Jahre nach Magdeburg gependelt. Dort habe ich in der Uniklink gearbeitet“, berichtet er. Mit diesem Wechsel habe sich sein Arbeitsweg sehr verbessert: „Nach Dessau sind es ungefähr 18 Kilometer. Dafür brauche ich um die 20 Minuten. Bis nach Magdeburg sind es etwa 60 Kilometer. Dafür habe ich immer eine Stunde gebraucht. Und auch das frühe Aufstehen hat sich etwas verlagert. Zu Magdeburger Zeiten war die Nacht gegen vier Uhr zu Ende, jetzt erst um fünf.“

Doch nicht immer schafft er die Fahrt nach Dessau in 20 Minuten: „Einmal habe ich wegen der Brückensperrung eine Stunde an der Fähre gestanden“, erinnert er sich. Und auch über die Autobahn musste er ab und an fahren. Dann benötigt er etwa 45 Minuten bis zur Arbeit.

Das Pendeln sieht Torsten Hybotter ganz gelassen, ist sich aber sicher: „Es ist schon lange nicht mehr möglich, seinen Wohnort auch seinen Arbeitsort nennen zu können, jeder muss ja seinen Lebensunterhalt bestreiten. Und dass wir das Land der Frühaufsteher sind, stimmt vollkommen im negativen Sinn.“

Eine Alternative zum Auto sehen beide Pendler, Henry Böttcher und Torsten Hybotter, nicht. Sie schätzen vor allem die Flexibilität, die ihnen das Auto gibt. Torsten Hybotter fügt noch an: „Der Anrufbus muss vorab bestellt werden. Wenn man aber in drei Schichten arbeitet und es zu personellen Engpässen kommt, wie überall in der Pflege, muss man flexibel sein und auch mal einspringen.“

„In der Vergangenheit war das Pendeln oftmals die einzige Möglichkeit, eine Arbeitsstelle zu finden. Zwischenzeitlich hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt geändert, da die hiesigen Unternehmen Fachkräfte suchen“, fasst Iris Nauman, Bereichsleiterin der Agentur für Arbeit Dessau-Roßlau-Wittenberg, die Pendlersituation zusammen.

Nach Magdeburg und Halle verzeichnet die Doppelstadt Dessau-Roßlau mehr Berufseinpendler als -auspendler. Hingegen verlassen mehr Frauen und Männer die Landkreise Anhalt-Bitterfeld und Wittenberg zur täglichen Arbeitsaufnahme, als dass sie in die Kreise einpendeln. Einpendler sind Beschäftigte, die nicht am Arbeitsort wohnen. Auspendler sind Beschäftigte, die nicht am Wohnort arbeiten. Doch die Arbeitskräfte verbleiben zum größten Teil im Bundesland Sachsen-Anhalt. Von den 23 435 Pendlern gehen übrigens 3319 einer Tätigkeit in den Alten Bundesländern nach. Alle anderen verbleiben in den neuen Bundesländern und fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Auto in die Regionen Dessau-Roßlau, Halle, Saalekreis, Leipzig, Salzlandkreis, Wittenberg, Magdeburg, Jerichower Land, Berlin und Nordsachsen.